Autoindustrie: Wie Volkswagen in der Cloud um seine Unabhängigkeit kämpft

Trotzdem: Der zweitgrößte Autokonzern und der zweitgrößte Cloud-Anbieter der Welt seien eine „Partnerschaft“ eingegangen, die weit über den Kauf von Server-Kapazitäten hinausgeht, sagte Zoran Lazovski, Chef der VW -Cloud-Tochter, dem Handelsblatt. „Wir bauen mit Technologien von Microsoft eine Cloud-Plattform, die künftig alle VW-Autos in der Welt vernetzt“, erklärt Lazovski. 2022 soll sie starten.

Source: Autoindustrie: Wie Volkswagen in der Cloud um seine Unabhängigkeit kämpft

Das Gelingen der Partnerschaft ist eine Existenzfrage für Volkswagen. Beim Thema Software und Vernetzung der Fahrzeuge gehe es um Volkswagens Unabhängigkeit, hat Konzernchef Herbert Diess seinen Managern eingeschärft. Software sei das mit Abstand wichtigste Feld für den Konzern in den nächsten Jahren.

Um die Software der Audis, VWs und Seats mit Updates kontinuierlich verbessern zu können, ist eine Anbindung an eine leistungsfähige Cloud notwendig – schließlich soll die Software der Zukunft von dort aus und nicht mehr in Werkstätten aufgespielt werden.

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So macht es das Branchenvorbild Tesla, so kennen es Nutzer von ihren Smartphones. Auch Funktionen wie die Fahrerassistenz oder Entertainment können nur mit einem dichten Netz an Datenzentren konkurrenzfähig und auf dem neuesten Stand gehalten werden.

Doch zwei der drei größten Cloud-Anbieter konkurrieren mit dem geplanten Betriebssystem VW.OS, das in Ingolstadt entwickelt wird. Die Plattformkonzerne wie Google oder Amazon drängen mit ihren Betriebssystemen Android und Alexa ins Auto und werben damit, die von Smartphones und smarten Lautsprechern bekannten Systeme ins Auto zu übertragen.

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VW-Partner Ford setzt auf Android

Gerade Google hat damit Erfolg: Mit VolvoGeneral Motors (GM) und Stellantis nutzen schon einige Massenhersteller das fürs Auto entwickelte „Android Automotive“.

Besonders schmerzhaft für VW: Auch Ford, enger Partner beim Elektro-Baukasten MEB und beim autonomen Fahren, hat im Februar angekündigt, das Google-Betriebssystem zu nutzen. „Wir müssen aus Geschäften aussteigen, bei denen wir keinen Zusatznutzen bringen – wie Navigationssysteme oder große Teile des Entertainment-Systems im Auto“, sagte Ford-Chef Jim Farley bei Bekanntgabe der Kooperation.

„Wer sich ein Betriebssystem von einem IT-Giganten zukauft, gibt ihm auch den Zugriff auf alle Daten im Auto. Das können wir nicht zulassen“, betont man dagegen bei Cariad, der eben umbenannten „Car Software Org“, die das VW.OS für den Konzern entwickelt.

Das Betriebssystem soll in einigen Jahren zu den wenigen relevanten Auto-Betriebssystemen weltweit gehören. Selbst die Lizensierung an Konkurrenten wie es Google mit Android tut, sei „perspektivisch denkbar“, heißt es aus Ingolstadt. Erst einmal konzentriere man sich aber auf den eigenen Konzern und seinen Blumenstrauß an Marken von Skoda bis Bentley.Elektrischer ID.4 von Volkswagen

Das Betriebssystem VW.OS soll in einigen Jahren zu den wenigen relevanten Auto-Betriebssystemen weltweit gehören.(Foto: Bloomberg)

Betriebssystem und Cloud hängen eng zusammen. Die Kontrolle über das OS könnte für die Cloud-Konzerne zum Türöffner werden. Wenn Ford- oder Polestar-Fahrer ihre Betriebssysteme im Auto nutzen, können sie das Verhalten der Nutzer in einem weiteren Lebensbereich analysieren und genauere Profile von ihnen für gezielte Werbung entwerfen oder an digitalen Dienstleistungen mitverdienen, die über ihren App-Store gebucht werden.

Zum anderen erfordern gerade automatisiert fahrende Autos so viel Speicher- und Rechenleistung, dass kein Cloud-Konzern das Geschäft mit der Mobilität ignorieren kann. Das ist ein Grund, warum Google mit Waymo und Amazon mit Zoox eigene Tochterfirmen haben, die Software für autonome Autos entwickeln.

Microsoft dient sich als neutraler Partner an

Microsoft hat bislang kaum derartige Ambitionen gezeigt – weder hat der Windows- und Office-Konzern ein eigenes Betriebssystem für Autos, noch testet er selbstfahrende Autos. Das war für Volkswagen einer der Gründe, bei der Vernetzung seiner Flotte mit Microsofts Azure-Cloud statt mit Google oder Amazon zusammenzugehen.

Dass Microsoft im Januar in die GM-Tochter Cruise investiert hat, kann man bei VW verschmerzen – obwohl die VW-Beteiligung Argo wie Cruise Hard- und Software für autonomes Fahren entwickelt: „Das ist sicher normal für Großkonzerne – in manchen Bereichen gibt es Konkurrenz, in manchen gibt es Kooperation.“

Microsoft passe als Partner mit seiner Kultur hervorragend, um gemeinsam Volkswagens Vision vom vernetzten Fahren zu verwirklichen, sagt Lazovski: „Wir wollten von der Softwareentwicklung, der Kultur und der DNS einer Organisation lernen, die selbst eine Transformation durchgemacht hat“, sagt der Manager. Es sei noch nicht lange her, dass Microsoft Software auf CDs verkauft habe.

Heute steuert das Unternehmen seine Büroanwendungen wie Office 365 aus der Cloud. „Ich glaube, wir können viel davon lernen für den Aufbau unserer Organisation, die Art, wie wir zusammenarbeiten und Software ausliefern.“

Mit einem neutralen Cloud-Partner hofft Volkswagen, selbstbestimmt und gleichzeitig technologisch führend sein zu können – etwa bei der Fahrassistenz, wo Teslas Autopilot bislang mehr Furore macht als jedes System aus dem VW-Konzern. „Für automatisiertes Fahren ist die Cloud extrem wichtig“, erklärt Lazovski. Im Februar hat Cariad angekündigt, eine „ADP“ genannte Plattform für automatisiertes Fahren auf Azure zu entwickeln.Serverraum

Automatisiert fahrende Autos erfordern so viel Speicher- und Rechenleistung, dass kein Cloud-Konzern das Geschäft mit der Mobilität ignorieren kann.(Foto: Getty Images)

Bislang würden Kundendaten nach deren Einwilligung nur für eine Testanwendung in die Cloud hochgeladen: eine Versicherung, die das Fahrverhalten analysiert und Sicherheit mit Prämien belohnt. In der Zukunft könnte aber die gesamte VW-Flotte Kameradaten in die Cloud laden und so die neuronalen Netze trainieren, die eine bessere Fahrassistenz möglich machen. „Die Menge an Daten, die wir sammeln können, ist ein klarer Vorteil“, sagt Lazovski.

Ein anderer Vorteil sei die Mission, das Auto zum nächsten smarten Gerät zu machen. Die ziehe auch im harten Wettbewerb um Talente an der US-Westküste: „Wir haben Topleute von Google, Facebook, Microsoft, Amazon, Mozilla und Expedia abgeworben“, zählt er die besten Adressen der Tech-Welt auf. „Sie haben verstanden, dass Volkswagen Software in den Mittelpunkt stellt“, sagt der Cloud-Chefentwickler.

Die Frage nach dem Dieselskandal komme im Gespräch mit Bewerbern zwar immer mal wieder auf, „und es gehört zu unserer Geschichte“, sagt Lazovski. „Aber wir können die meisten davon überzeugen, dass wir heute ein anderes Unternehmen sind und es Ernst meinen mit der E-Auto-Strategie.“

Das gilt sogar für den Chef selbst, der 2019 vom SAP-Konkurrenten Salesforce zu VW kam: „Was mich bei Volkswagen fasziniert, dass in meinen Gesprächen alle immer das langfristige strategische Ziel im Auge haben. Und das auf allen Ebenen“.

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Tesla setzt auf den eigenen Supercomputer

Doch manche sehen schon die nächste Entwicklungsstufe: „Autokonzerne bemerken erst langsam, dass sie für die autonomen und vernetzten Autos der Zukunft Hochleistungscomputer brauchen“, sagt Danny Shapiro, Automotive-Chef beim Halbleiter-Hersteller Nvidia, der auf Grafik- und KI-Chips spezialisiert ist.

Am Anfang würden Autohersteller beginnen, für das Training der neuronalen Netze auf Cloud-Anbieter zurückzugreifen. „Dann merken sie aber schnell, dass sie sie Tag und Nacht weitertrainieren und ihre Algorithmen permanent verbessern“, sagt Shapiro – was entsprechend die Rechnung des Cloud-Anbieters nach oben treibt.

„Manche werden in eigene Datenzentren investieren, in der Hoffnung, das kosteneffizienter zu organisieren“, erwartet Shapiro. Auch eine Mischung aus öffentlicher Cloud und eigenen, auf KI spezialisierten Datenzentren sei denkbar.

Vorreiter ist hierbei – wie so oft – Tesla: Der Elektroauto-Pionier will Ende des Jahres seinen Supercomputer „Dojo“ ans Netz bringen. „Dojo“, benannt nach dem Trainingsraum für japanische Kampfkünste, soll mit den von Teslas weltweit hochgeladenen Videodateien neuronale Netze fürs automatisierte Fahren trainieren – ähnlich wie es Volkswagen mit ADP tun will.

„Dojo“ sei an den von Tesla selbstentwickelten, seit 2019 in jedem Modell verbauten FSD-Chip angepasst, sagte Andrej Karpathy, KI-Chef bei dem Autobauer kürzlich in einem Podcast: „Wir treiben das in allem aufeinander abgestimmte Design damit noch weiter“.

Eigene Supercomputer oder Chips seien bei Volkswagen aktuell noch kein Thema, heißt es aus dem Konzern. Jetzt muss die Automobil-Cloud-Kooperation mit Microsoft ja erst mal offiziell ans Netz gehen.

Mehr: Warum Teslas Fahrzeuge nicht autonom fahren können