Standardisierung ist der Schlüssel

Im Interview berichtet PD Dr.-Ing. habil. Robert Scholderer, CEO der Scholderer GmbH, über die Herausforderungen, vor die die Pandemie das IT-Servicemanagement gestellt hat und wirft einen Blick auf die Zukunftstrends der Branche.

Source: Original Postress-this.php?">Standardisierung ist der Schlüssel

ITD: Herr Dr. Scholderer, 2020 wird als „Corona-Jahr“ in die Geschichte eingehen. Wie wirkt sich die Pandemie auf das Servicemanagement aus?
Dr. Robert Scholderer
: Mit Beginn der Pandemie wurde (nach einem schwierigen Migrationsprozess ins Homeoffice) vielen Unternehmen klar, dass man die benötigten Services genau kennen muss. Denn jetzt konnten die Mitarbeiter nicht mehr auf “Zuruf” fehlende Teile des Service Managements kompensieren. Also begann man in den Betrieben mit der Inventarisierung von Services, die definiert, zugeschnitten und beschrieben werden mussten. Die Inventarisierung mündete in einem Servicekatalog, der das Fundament in der IT darstellt. Auf dieser Basis findet heute ein koordiniertes Service Management statt. Im Grunde eine sehr gute und nachhaltige Entwicklung.

ITD: Welche Trends oder Veränderungen haben Sie bezüglich der Nachfrage nach ITSM-Lösungen hier bemerkt?
Scholderer:
 Eigentlich sind es zwei große Veränderungen. ITSM-Lösungen können heute oft nur von Spezialisten bedient werden. Fällt der Spezialist aus, so hängt das Service Management in der Luft. Heutige ITSM-Lösungen müssen daher so ausgerichtet sein, dass Sie in den Arbeitsalltag eines Prozessmanagers integriert sind. Damit er ohne tiefere Tool-Kenntnisse, ähnlich wie eine „Office-Welt”, seine Kundenanforderungen lösen kann.
Die zweite Veränderung bzw. der zweite Trend ist ganz klar der Weg in die Cloud – auch wieder bedingt durch die Arbeit im Homeoffice. ITSM-Lösungen, die on Premise installiert werden müssen, sind nur noch sehr selten gefragt. Außerdem müssen langwierige Installationsprozesse vermieden werden, ebenso wie lange Implementierungszeiten, bis ein ITSM aufgebaut ist. Das passt dann auch zu dem, was ich eben schon zum Servicekatalog sagte: Sind die Services auf der Kundenseite beschrieben, kann man diese auch in die ITSM-Lösung übernehmen und ohne Zeitverzug nutzen. Das ist das, was wir heute brauchen.

ITD: Was sind Ihrer Erfahrung nach im Homeoffice die größten Herausforderungen an die IT-Systemverwaltung?
Scholderer:
 Einerseits mussten Unternehmen erst einmal die Herausforderungen einen vollständigen Homeoffice-Service zu definieren meistern. Vielen war gar nicht klar, was man genau benötigt. In diesen Fällen startete oft eine lange Diskussion zum Umfang eines Homeoffice-Arbeitsplatz.  
Auf der anderen Seite brauchte es eine gute, stabile und sichere Anbindung des Homeoffice beim Mitarbeiter. Wer in einer Großstadt wohnt, hatte es oft leichter, aber es gibt immer noch zum Teil sehr geringe Netzbandbreiten, die Videokonferenzen und essentielle Aktivitäten wie das Teilen eines Bildschirminhalts gar nicht oder nur sehr stark verzögert ermöglichen. Soweit geographisch überhaupt möglich, konnte man für eine Anbindung an das Homeoffice ein Upgrade des Netzwerkanschlusses in Auftrag geben. Da stellt sich dann aber die Frage, wer das bezahlt.

ITD: Im Homeoffice lassen sich gewisse Standards nicht eins zu eins umsetzen. Wie machen sich Cyberkriminelle diese Situation zu Nutze?
Scholderer: 
Meist ist es schwierig, die Unternehmens-interne IT-Compliance im Homeoffice komplett umzusetzen. Private Nutzung der Geräte oder lokale Datenhaltung außerhalb der Unternehmens-IT gibt es immer wieder, wenn auch meist ohne dedizierte Absicht. Diese Art von IT- und Sicherheits-Vakuum machen sich Cyberkriminelle zu Nutze. Da kommen zum Beispiel vermehrt Anrufe von vermeintlichen großen Softwarehäusern, die laut Vertrag auf das System des Mitarbeiters zugreifen müssen. Viele Beschäftigte nutzen oder nutzten private Rechner, die sind natürlich oft nicht so geschützt wie ein IT-Arbeitsplatz im Unternehmen. Eine verteilte Datenhaltung auf privaten Geräten ist dann ein Problem. Oft ist das verständlich, denn wenn man etwas auf dem privaten Homeoffice-Drucker senden möchte, dann geht es eben nur über das private Gerät. Es gibt also viele Lücken und entsprechend viele Einfallstore für Cyberkriminelle.

ITD: Welche Strategien sollten Unternehmen anwenden, um die Sicherheit ihrer Daten zu gewährleisten?
Scholderer: 
Bisherige Strategien wie zum Beispiel USB-Blocker sind ja bekannt. Diese schützen jedoch nicht vor weitergeleiteten Emails mit Anhängen, um diese auf privaten Geräten weiterzuverarbeiten oder auszudrucken. Hier helfen Cloud-basierte Kollaborationssysteme wie MS-Teams. Hierüber kann der Zugriff geschützt werden und zum Beispiel die Synergie zwischen dem Ausdruck auf dem privaten Gerät durch die lesende Anzeige geschaffen werden, während der Download wiederum unterdrückt wird. Das ermöglicht eine große Flexibilität und führt zur Einhaltung von Compliance.

ITD: Aufgrund der aktuellen Lage wird vermehrt auf Zusammenarbeit via Cloud gesetzt. Was kann hier „schiefgehen“, wenn die Mitarbeiter sich diese Tools selbst zusammensuchen?
Scholderer: 
Da haben wir viele „interessante” Effekte kennengelernt. Eigentlich suchen Mitarbeiter meist nicht von sich aus. Nur wenn vom Unternehmen aktuell erforderliche Services nicht Cloud-basiert bereitgestellt werden, beginnt die Suche. Diese führt dann im Extremfall dazu, dass auf öffentlichen Storage-Providern geheime Anträge oder Unternehmensdaten abgelegt und von dort mit Projektpartnern ausgetauscht werden. Der Datenschutz wird nicht eingehalten und die IT hat keine Kontrolle mehr darüber, wo genau welche unternehmensspezifischen Daten liegen.  

ITD: Anders gefragt: Welche Vorteile bietet hier eine professionelle Cloud-Collaboration-Lösung?
Scholderer: 
Mit einer professionellen Cloud-Collaboration-Lösung kann man Zugriffe auf Daten kontinuierlich steuern. Wenn zum Beispiel Projektpartner wegfallen oder einzelne Personen aus dem Unternehmen ausscheiden oder neu hinzukommen, dann sind die Zugriffe zentral steuerbar. Bei „selbst” gesuchten Tools – die Frage von eben – ist man aber weiterhin auch auf die Disziplin der Projektleiter angewiesen.

ITD: Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Standardisierung von IT-Services?
Scholderer: 
In jedem Fall eine sehr große Rolle. Jedes Rechenzentrum kämpft mit den individuellen Kundenlösungen. Nur die Standardisierung von IT-Services hilft, dass Rechenzentren kosteneffizient produzieren können. Mit jeder individuellen Lösung steigt der Mehraufwand, den weder ein Kunde bezahlen, noch der Dienstleister leisten möchte. Erst standardisierte IT-Services ermöglichen für ein Rechenzentrum eine klare Investitionsstrategie, da man die Hauptstraße (also die standardisierten IT-Services) kennt und sie verstärkt verbessern und automatisieren kann.

ITD: Welche Rolle spielen im Jahr 2021 KI und Hyperautomatisierung und wie wird sich diese Rolle in den kommenden Jahren weiterentwickeln?
Scholderer:
 Wir erleben heute bereits den Einsatz von KI-Systemen in der IT, damit sie bestimmte Prozessschritte unterstützen bzw. übernehmen. In den nächsten Jahren werden wir durch die fortschreitende Digitalisierung kontinuierlich mehr Schnittstellen zwischen Systemen schaffen. Wenn die KI lernt, über diese Schnittstellen hinweg zu unterstützen, dann gewinnt die Hyperautomatisierung an Dynamik. Dann können ganze Prozesse, aber auch Prozessketten automatisiert ablaufen.

ITD: Welche ITSM-Trends können Sie darüber hinaus für die nächsten Jahre identifizieren?
Scholderer:
 Der Haupttrend ist sicher das Enabling von IT-Ressourcen für Kunden oder einzelne Fachbereiche. Viele Bestrebungen fokussieren Servicekataloge und Selfserviceportale.
Wobei man sich beim Selfservice nicht auf die Selbsthilfe beschränkt, sondern auch in Richtung Selbstbedienung geht. Kunden sollen also unabhängig von der IT die benötigten IT-Ressourcen wählen (enablen) und dadurch die eigenen Geschäftsprozesse unterbrechungsfrei fortführen können. IT in einen derartigen Gebrauchsgegenstand zu überführen, ist eine Herausforderung. Dabei gilt das Motto, weder der Kunde noch die IT müssen gegenseitig aufeinander warten. Diese Entkopplung ist der zentrale ITSM-Trend der nächsten Jahre.

ITD: Womit wird sich Ihr eigenes Unternehmen befassen?
Scholderer:
 Bei der Standardisierung der IT-Services sind wir heute führend und werden dies noch umfassender in der IT vorantreiben. Diese Standardisierung wird jedoch nie abgeschlossen sein, da immer neue Services und neue Anforderungen entstehen. Wir werden uns hier dauerhaft engagieren. Um weiterhin führend zu bleiben, betreiben wir außerdem neue Technologien und wirken bei der Schaffung neuer IT-Services mit. Beispiele sind Cloud-basiertes ITSM und 3D-gestützte Arbeitsprozesse wie Onboarding oder Micro-Learning.