Gangbare Wege in die Cloud

In der Praxis sprechen vor allem vier Gründe immer noch gegen die Cloud: Erstens ist bei On-Prem eine bessere Kontrolle über den Betrieb möglich, zweitens ist die Cloud längst nicht immer kostengünstiger, drittens ist die Vertraulichkeit wichtiger Daten in der Cloud schwierig sicherzustellen und viertens sind Performance-Probleme, z.B. durch Latenzen bzw. Signallaufzeiten, ein Thema.

Bei zentralen Kernsystemen wie Enterprise Resource Planning (ERP), an denen Produktion, Logistik oder Warenwirtschaft hängen, zögern die CIOs noch, um sich keine unnötigen Probleme und Baustellen einzuhandeln, weil ungeplante Release-Wechsel durch den Cloud-Provider dann auch schon einmal mit Lastspitzen im Tagesgeschäft kollidieren und nicht durch sorgfältig geplante Schulungsmaßnahmen vorbereitet sind.

Gern in die Cloud verlagert werden dagegen sporadisch genutzte Test- und Fallback-Systeme oder z.B. auch Customer-Relationship-Management-Systeme (CRM). Eine aktuelle IBM-Studie untermauert dies: Nur drei Prozent der weltweit Befragten gaben an, im Jahr 2021 eine einzige Private oder Public Cloud zu nutzen – gegenüber 29 Prozent im Jahr 2019 –, um die Anbieterabhängigkeit zu reduzieren und Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Sicherheit zu begegnen.

Agilität und Skalierbarkeit gefragt

Gemäß einer Umfrage von Dynatrace sehen die weltweit befragten 1.300 CIOs und IT-Manager auch Herausforderungen in Bezug auf Agilität und Skalierbarkeit bei der Nutzung von Multi-Cloud-Architekturen. Denn Multi-Cloud-Strategien führen zu mehr Komplexität bei der Überwachung und Verwaltung von sich ständig verändernden Umgebungen. In Deutschland nutzen die Multi-Cloud-Anwender demnach durchschnittlich jeweils sechs verschiedene Plattformen, vor allem Amazon Web Services (62 Prozent), Microsoft Azure (38 Prozent), Google Cloud (23 Prozent) und IBM/Red Hat (11 Prozent).

Außerdem werden zunehmend branchenspezifische Cloud-Plattformen eingesetzt, um Innovationsstrategien und strenge Compliance-Vorgaben in Einklang zu bringen. Multi-Cloud-Strategien sind daher mitentscheidend, um mit dem rasanten Tempo der Digitalen Transformation Schritt zu halten. „Doch die IT-Teams haben Schwierigkeiten, die Komplexität zu bewältigen, welche diese Umgebungen mit sich bringen“, beobachtet Bernd Greifeneder, Gründer und Chief Technology Officer von Dynatrace. „Die Abhängigkeiten nehmen exponentiell zu, angetrieben durch kürzere Bereitstellungsfrequenzen und Cloud-native Architekturen, die zu ständigen Veränderungen führen. Open-Source-Technologien verkomplizieren dies, indem sie den Teams noch mehr Daten liefern. Erschwerend kommt hinzu, dass jeder Cloud-Service oder jede Cloud-Plattform eine eigene Monitoring-Lösung hat.“

Wollen Unternehmen ihre Hybrid- und Multi-Cloud-Projekte vorantreiben, werden sie zunächst entscheiden, welche Workloads sie wohin verlagern. Zu Beginn einer Cloud-Reise wandern meistens einfache, unkritische Workloads wie Reisekostenabrechnung oder Urlaubsanträge in die Cloud. Mittlerweile prüfen die CIOs im Zuge der Modernisierung auch die Migration komplexerer und wichtigerer Workloads.

„Nicht differenzierende Geschäftsprozesse und -anwendungen sind häufig erste Kandidaten für das Outsourcing“, beobachtet Michael Cerny, Director System Sales bei IBM DACH, dass auch schon im Mittelstand häufig Outtasking-Vereinbarungen geschlossen werden, bei denen der Kunde eine höhere Mitsprache über die Leistungserbringung hat. Es gebe allerdings auch Outsourcing-Verträge, bei denen der Service-Provider eine IT-Transformationsrolle wahrnimmt, um Ressourcenengpässe oder fehlende Skills aufzulösen. Colocation-Rechenzentren ermöglichen es, auch ohne entsprechende Flächen oder ohne das notwendige Know-how eigene IT-Systeme in einem Tier-3-Rechenzentrum sicher zu betreiben. „Je nach Provider-Modell sind hier auch Opex-Modelle möglich, die den Unternehmen mehr finanzielle Flexibilität erlauben“, sagt Cerny.

Immer häufiger sind auch nichtfunktionale Eigenschaften wie die Latenz ein wichtiger Faktor, wenn Webanwendungen oder Smartphone-Apps für Kunden angeboten werden sollen. Die meisten Colocation-Anbieter haben hier direkte hochperformante und latenzarme Anbindungen an die Hyperscaler und die Internet-Knotenpunkte. Auch Übertragungsgeschwindigkeit und Bandbreite sind Argumente, weshalb sich viele Colocation-Anbieter rund um den deutschen Internet-Knotenpunkt in Frankfurt angesiedelt haben.

Agile Neuentwicklungen mit Legacy-Anwendungen verzahnen

Anwendungen mit nicht so unternehmenskritischen Daten – etwa Mail-Systeme, aber auch Container-Applikationen oder vor allem Software-as-a-Service-Angebote (SaaS) – werden heute aus der Cloud in Form eines Mietmodells bezogen. „Der Hauptteil unternehmenskritischer Anwendungen befindet sich aufgrund von Compliance-, Datenschutz- und Latenzgründen nach wie vor On-Premises“, weiß IBM-Manager Cerny, der hier ein sehr starkes Wachstum bei solchen Private Clouds sieht, „in denen Kunden agile Neuentwicklungen mit ihren Legacy-Anwendungen verzahnen“.

Laut Andre Walter, Head of Cloud Infrastructure Services bei der NTT Data Business Solutions AG, können Hybridlösungen durchaus eine erfolgreiche Strategie darstellen. Dabei entscheidet sich das Unternehmen, bestimmte IT-Systeme bei sich „onsite“ zu verwalten, während ein Cloud-Service-Provider alle anderen IT-Systemen managt. Services aus der Public Cloud lassen sich hierbei mit denen aus einer Private Cloud kombinieren.

Dabei darf laut Walter aber eines nicht vergessen werden: „Der Betrieb moderner Applikationen, Technologien und Systeme erfordert Wissen und Fähigkeiten vielfältiger Art. In Zeiten des Fachkräftemangels ist dieses Wissen lokal oft schwer zu bekommen.“ Auch deshalb kann Outsourcing oder Cloud Sinn machen. Andererseits ist natürlich das etablierte Team des CIOs ein Faustpfand, das für den Betrieb in der bestens bekannten On-Premises-Umgebung spricht.

Pay As You Go

Aber auch an der Public Cloud kommen CIOs kaum noch vorbei. Das gilt insbesondere dann, wenn die Workloads viel Flexibilität erfordern. Für Tests oder Szenarien, in denen sehr schnell Ergebnisse gefragt sind, eignen sich Cloud-Services oder Systeme im Rahmen von „Pay As You Go“ sehr gut. Unternehmen können dabei diese kurzfristig konsumieren und wieder abstoßen, sobald sie nicht mehr nötig sind. Sie bezahlen dabei nur die Cloud-Computing-Ressourcen, die sie tatsächlich nutzen. Auch Commodity-Themen eignen sich gut für ein derartiges Outsourcing. Allerdings sind hier ausgefeilte Service Level Agreements (SLAs) zur Steuerung der Dienstleister nötig.

Welcher Teil der Informationsverarbeitung sich besonders für Outsourcing, Colocation oder die Cloud eignet, kann Christian Scharrer, Enterprise Architect bei Dell Technologies, nicht pauschal sagen. Das komme vielmehr einzig und allein darauf an, „was mit der Verlagerung von Infrastruktur und dem Verschieben von Anwendungen erreicht werden soll. Meist wollen Unternehmen ihre Kosten senken, die Bereitstellungsgeschwindigkeit von IT-Services erhöhen oder das Management vereinfachen – manchmal fehlen ihnen aber schlicht nur das Know-how oder Personal“.

Im Grunde gilt: Kann das Unternehmen einen internen Service mit gleichen Leistungsdaten und SLAs zu einem günstigeren Preis aus der Cloud oder „as a Service“ beziehen, dann sollte es das auch ernsthaft in Erwägung ziehen. Diese Entwicklung sieht Scharrer momentan „vor allem bei der Umstellung auf Office 365 und Teams – Anwendungen, die Unternehmen nicht mehr selbst hosten und verwalten wollen. Aber auch die Überwachung der gesamten Infrastruktur auf Anomalien und Hackerangriffe kaufen viele Unternehmen als Managed Services ein, weil sie nicht genug interne Spezialisten haben“.

Data-First-Mentalität

Wichtig ist laut Scharrer vor allem, „dass Unternehmen bei solchen strategischen Entscheidungen eine Data-First-Mentalität haben“. Daten seien heute einfach viel zu wichtig, um sie nicht in den Mittelpunkt der Unternehmensstrategie zu stellen. „Bei der Entscheidung für oder gegen eigene Infrastruktur, Cloud-Services, Colocation oder As-a-Service-Modelle müssen Unternehmen daher klären, wie sie ihre Daten – das wertvollste Gut, das sie besitzen – am besten verwalten sowie schützen und zuverlässig dort bereitstellen, wo sie benötigt werden.“

Außerdem kann die Cloud auch Lastenspitzen abfedern, etwa bei stark ausgeprägtem saisonalem Geschäft. Aber auch für die Zusammenarbeit mit Partnern und Kunden sowie für Workloads, bei denen nur wenige Transaktionen anfallen und der Austausch von Daten gering ist, eignen sich Cloud-Angebote. Für Outsourcing und Kollokation kommen vor allem solche Workloads infrage, die sich, was die Ressourcenauslastung betrifft, wenig ändern – vor allem dann, wenn das Unternehmen nicht über die nötigen technischen sowie personellen Ressourcen verfügt, um alle Workloads im eigenen Rechenzentrum zu betreiben und zu managen. Die Unterscheidung – Cloud einerseits und Outsourcing sowie Kollokation andererseits – ist dann sinnvoll, wenn die eigene Infrastruktur und die der Dienstleister noch nicht rein Software-gesteuert sind, wie das bei Hyperscalern der Fall ist.

Im Jahr 2020 war laut der Gartner Group die Nachfrage nach Unternehmenssoftware in der Cloud zum ersten Mal größer als der Nicht-Cloud-Markt, was zum Teil auf Corona zurückzuführen ist. Bis 2025 erwarten die Marktforscher, dass der Cloud-Markt doppelt so groß sein wird wie der Nicht-Cloud-Markt. Das elfprozentige Ausgabenwachstum im Bereich „Unternehmenssoftware“ im Jahr 2022 geht fast ausschließlich auf das Konto der Cloud, da sich die Unternehmen darauf konzentrieren, ihren Software-Stack auf SaaS umzustellen, um weiterhin Flexibilität und Agilität zu gewährleisten.

„Die Nutzung der Hybrid-Cloud, also einer Kombination aus On-Premises, Private und Public Cloud, findet in vielen Unternehmen mehr Zuspruch. Einen reinen Private- oder Public-Cloud-Betrieb kann sich dagegen nur eine geringe Minderheit vorstellen. Dabei greifen die Unternehmen vor allem auf Microsoft Azure und AWS zurück, doch auch die Google Cloud gewinnt an Relevanz“, heißt es in einer Lünendonk-Studie zur S/4-Hana-Umstellung und ERP-Modernisierung. Vor allem die Transformation von nicht mehr zeitgemäßen Prozessen und die damit einhergehende Frage, wie bestehende Prozesse in die Cloud migriert und dabei modernisiert werden können, bereitet demnach vielen SAP-Kunden große Sorgen. Mit dem Marketing-Programm „Rise with SAP“ wolle der Hersteller nun Antworten auf die Probleme vieler Anwender geben.

Speziell Microsoft habe in den letzten Jahren viel S/4-Hana-Know-how und lokale Rechenzentrumskapazitäten aufgebaut, um den Anforderungen an Datensicherheit und Datensouveränität beim Cloud-Betrieb zu genügen, diagnostizieren die Marktforscher. Darüber hinaus seien ein großer Teil der SAP-Dienstleister auch langjährige Microsoft-Partner, verfügen also auch über die entsprechende IT-Infrastrukturbasis für den Betrieb von S/4 Hana on Azure.

Dies ist ein Artikel aus unserer Print-Ausgabe 1-2/2022. Bestellen Sie ein kostenfreies Probe-Abo.

Nicht auf SAP, sondern auf die ERP-Software aus Redmond ist der Berliner Microsoft-Partner Cosmo Consult spezialisiert. Wenn es darum geht, alle Anwendungen zu integrieren und Daten gemeinsam zu nutzen, um neue Prozesse zu schaffen, kann die Cloud eine Schlüsselrolle spielen, sagt Daniel Schmid, CPO von Cosmo Consult. Die Cloud trage „in erster Linie dazu bei, Integrationsszenarien zu harmonisieren. Standardisierte Kommunikationswerkzeuge wie Microsoft Data Verse sind hilfreich, um die Vielfalt an Schnittstellen zu reduzieren. Zudem schafft die Cloud eine gute Ausgangslage, um auf Basis der auszutauschenden Daten Auswertungen und Analysen zu erstellen.“ Das sei besonders dann nützlich, wenn es gelte, Prozesse zu verbessern oder gar neu zu etablieren. Einen weiteren Vorteil der Cloud sieht Schmid darin, dass sich in dieser Umgebung Arbeitsabläufe einfacher automatisieren lassen – Stichwort „Workflows“. Die Hersteller reagieren auf die verbesserten Integrationsoptionen ihrer Anwendungen, indem sie verstärkt Workflow-Tools einbinden, um integrierte Prozesse weitergehend zu automatisieren und zu beschleunigen.

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