Interview New Work: Wie Coworking-Spaces Büro und Home-Office ergänzen

Coworking Spaces können die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Work-Life-Balance verbessern.


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Herr Schubert, als Leiter der Entwicklung neuer Arbeitswelten bei der DATEV eG, sprechen Sie sich dagegen aus, New Work auf die Frage “Home-Office oder Büro?” zu reduzieren. Vielmehr machen Sie sich für ein Konzept der “dritten Arbeitsorte” stark. Was hat es damit auf sich?

Rainer Schubert: Als “dritte Arbeitsorte” bezeichnen wir all die Orte, die nicht das Büro oder der heimische Arbeitsplatz sind. Das kann der Schreibtisch bei Partner:in, Familie oder Freund:innen sein, das Ferienhaus, das Arbeiten im Zug oder im Café. Um unseren Mitarbeitenden eine professionell ausgestattete Umgebung anbieten zu können, setzen wir in erster Linie auf Coworking-Spaces. Dort können sie sowohl Einzel- oder Fokusarbeiten verrichten, aber auch kooperativ im Team zusammenarbeiten.

Warum ist es wichtig, neben Büro und Home-Office dritte Arbeitsorte anzubieten?

Schubert: Nach über zwei Jahren Pandemie ist für uns klar: Eine vollständige Rückkehr ins Büro und zu alten Arbeitsmustern darf keine Option sein. Zum einen, weil ein Ende der Pandemie und Einschränkungen für das Büroleben noch nicht absehbar sind. Zum anderen, weil wir nicht von unseren Angestellten verlangen können und wollen, dass diese 1:1 da weiter machen, wo wir vor der Pandemie standen. Bei einer Befragung unter unserer Belegschaft Ende 2020 haben wir erfahren, dass sich der größere Teil unserer Beschäftigten vorstellen kann, ein bis zwei Tage in der Woche ins Büro zu gehen. Umgekehrt wünscht sich eine Mehrheit, langfristig auch die Option des mobilen Arbeitens nutzen zu können. Darüber hinaus sind acht Stunden an einem festen Schreibtisch und am Ende noch am Bürostandort als Konzept einfach nicht mehr zeitgemäß.

Worin liegt der konkrete Vorteil von Coworking Spaces?

Schubert: Viele Menschen schätzen die Arbeit im Home-Office. Es gibt aber auch Herausforderungen. Bei mir persönlich war das beispielsweise die fehlende Bewegung. An manchen Tagen während der Home-Office-Pflicht bin ich nicht einmal auf tausend Schritte gekommen. Dann kann der dauerhaft fehlende, direkte persönliche Kontakt zu den Kolleg:innen zu einer Isolation führen, gerade für allein lebende Personen. Umgekehrt ist es für Eltern nicht immer einfach, sich zu fokussieren, wenn im Hintergrund Kinder Aufmerksamkeit einfordern. Und nicht jeder hat ein separates Arbeitszimmer oder eine ausreichend gute Arbeitsplatzausstattung. Darüber hinaus gibt es Gegenden, in denen die Internetanbindung einfach unzureichend ist.

In all diesen Fällen braucht es ein Angebot, um auch kurzfristig ausweichen zu können, ohne dabei möglicherweise weit zum Büro pendeln zu müssen. Coworking-Spaces stellen hier nicht nur einen Kompromiss dar, sondern bieten – bei einem entsprechend engmaschigen Netz – das Beste aus beiden Welten: kurze Anfahrtswege, professionelle Ausstattung, die Möglichkeit zu fokussierter und hybrider Arbeit, gesellschaftliche Teilhabe in der Coworking-Community und bestenfalls die persönliche Kooperation mit Kolleg:innen vor Ort.

Rainer Schubert: “Der ländliche Raum ist gegenüber den Metropolregionen in Sachen Arbeitsplätze und digitaler Infrastruktur meist im Nachteil. Hier bieten Coworking-Spaces eine große Chance, interessante Arbeitsplätze in Wohnortnähe bereitzustellen.”


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Für welche Mitarbeitenden kann ein solches Modell besonders attraktiv sein?

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Schubert: Für den überwiegenden Teil unserer Mitarbeitenden spielt inzwischen der heimische Arbeitsplatz eine wesentliche Rolle. Die Bürostandorte bleiben weiterhin wichtig, bekommen aber eine neue Bedeutung: Kommunikations-, Kollaborations- und Identifikationsorte. Die Bürostandorte sind die Anker- und Heimatorte im Unternehmen. Dafür braucht es in Teilen jedoch eine Transformation der klassischen “Bürolandschaften” hin zu Kommunikations-, Community-, Projekt-, Kreativ- und Rückzugsorten. Die “dritten Orte” – insbesondere Coworking-Spaces – sollen das Angebot ergänzen. Ziel muss es sein, ein Portfolio an Möglichkeiten anzubieten, das grundsätzlich allen Mitarbeitenden ermöglicht, das für sich in ihrer jeweiligen Lebensphase am besten passende Modell zu wählen.

Welchen Beitrag können dritte Arbeitsorte zur Unternehmenskultur leisten?

Schubert: Dritte Arbeitsorte liegen für uns in erster Linie näher am Wohnort und können daher die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Work Life Balance verbessern. Mehr Flexibilität zählt zur Agenda unserer Unternehmenskultur.

Darüber hinaus bieten Coworking-Spaces gegenüber dem Home-Office wieder stärkere Möglichkeiten, sich mit Kolleg:innen und anderen Coworker:innen zu vernetzen. Zudem ist in den Pausen oder nach Büroschluss ein privater Austausch möglich, der remote nur selten stattfindet. Das verbindet.

Natürlich hat jedes Unternehmen eine eigene Kultur, an die solch ein Modell angepasst werden muss. Damit das ein Erfolg wird, sollten die Verantwortlichen schon beim Aufbau die Belegschaft einbinden und sich deren Ideen und Optimierungsvorschläge genau anhören. Alle einzuladen, sich an dem Prozess zu beteiligen, wie wir künftig arbeiten wollen, sollte oberstes Gebot sein.

Welches Potenzial bieten dritte Arbeitsorte für den ländlichen Raum – und wie können sie intelligent in das Ortsgeschehen eingebunden werden?

Schubert: Der ländliche Raum ist gegenüber den Metropolregionen in Sachen Arbeitsplätze und digitaler Infrastruktur nach wie vor im Nachteil. Hier bieten Coworking-Spaces eine große Chance, interessante Arbeitsplätze in Wohnortnähe bereitzustellen. Das hält den Pendelverkehr weiter auf niedrigem Niveau und damit auch nachhaltig den damit verbundenen CO2-Ausstoß.

Darüber hinaus schaffen Coworking-Spaces Begegnungsstätten für Menschen – über die reine Büroarbeit hinaus. Hier können sich beispielsweise auch Vertreter:innen aus Unternehmen und Bildungsinstitutionen miteinander vernetzen. Die Räume bieten weiterhin einen günstigen Rahmen, um Bürger:innen mit ihren Interessensvertreter:innen aus der Kommunalpolitik zusammenzubringen. Das stärkt den lokalen Austausch und die ländliche Gemeinschaft.

Sinnvoll ist es, solch ein Angebot nicht isoliert als reine Arbeitsgelegenheit aufzuziehen, sondern direkt in das örtliche Geschehen zu integrieren. Das kann funktionieren, wenn ein ohnehin wichtiger – und möglicherweise noch fehlender – Teil des Lebens dort vorhanden ist, etwa ein Café, eine Bibliothek oder ein Dorfladen. Coworking-Spaces könnten so einen aktiven Beitrag zum Kampf gegen die Landflucht beitragen und Synergien bei der Belebung von Ortskernen erzeugen.

Welche Hürden sind beim Aufbau eines Coworking-Netzwerks zu erwarten?

Schubert: Bedauerlicherweise sind Coworking-Spaces auf dem Land noch Mangelware. Kommunen und Gründer:innen zögern zum einen noch, in Vorleistung zu gehen, weil die potenzielle Nutzung eines Coworking-Spaces schwer zu prognostizieren ist. Zum anderen sind Unternehmen vielmals kulturell noch nicht so weit oder setzen auf Präsenz.

Gerade in der aktuellen Dynamik ist es wichtig, Strukturen und Coworking-Angebote zu fördern und zu etablieren. Die Menschen wollen nicht mehr fünf Tage die Woche in die Büros kommen. Daher brauchen sie alternative Angebote in Wohnortnähe. Darin liegt eine große Chance für die neue Arbeitswelt und strukturschwache, ländlich geprägte Räume.

Welche Vorteile und welche Risiken sind bei der Nutzung von Coworking-Spaces zu erwarten?

Schubert: Die verbesserte Work Life Balance sowie die Möglichkeit, soziale Kontakte mit Kolleg:innen zu pflegen, habe ich bereits erwähnt. Ein zusätzlicher Faktor ist die Vernetzung mit anderen Coworker:innen.

DATEV hat schon früh erkannt, welchen Weg wir mit oder aus der Pandemie gehen wollen. Daher haben wir mit unseren Betriebspartnern die Gesamtbetriebsvereinbarung “Mobiles Arbeiten” geschlossen. Da der Datenschutz unser größtes Gut ist, nimmt dieser in der Betriebsvereinbarung einen großen Stellenwert ein. Die Mitarbeitenden sind also sensibilisiert, den Datenschutz auch beim mobilen Arbeiten sicherzustellen. Die Risiken jeder Arbeitssituation an jedem Arbeitsort, ob im Coworking-Space oder an irgendeinem anderen Ort in Deutschland, werden entsprechend eingeschätzt. Sitzen unsere Mitarbeitenden beispielsweise in einem gemeinschaftlichen Raum, müssen sie genau bedenken, mit welchen Daten sie gerade umgehen und ob jemand Drittes beim Telefonat zuhören oder auf den Bildschirm sehen kann. Sie müssen die Vertraulichkeit jederzeit wahren und sicherstellen.

Können Coworking-Spaces perspektivisch feste Büros ablösen?

Schubert: Für DATEV werden Coworking-Spaces im Wesentlichen eine Ergänzung zum heimischen Arbeitsplatz sein. Unsere Bürostandorte spielen aber weiterhin eine zentrale Rolle, weil wir einen Identifikationsort brauchen. Die Teamidentifikation, die informelle Kommunikation und der soziale Austausch haben in der Pandemie sehr gelitten. Umso mehr brauchen wir jetzt einen Ort, an dem sich die Mitarbeitenden wohlfühlen und an dem das Miteinander und die Kollaboration wieder gefördert werden. Der Standort muss in Zukunft also ein Ort für gelebte Gemeinsamkeit sein, an den die Mitarbeitenden gerne und mit Vergnügen kommen.

Der Standort also ist für die Mehrheit ein Ort für die Zusammenarbeit im Team. Andere legen wiederum Wert auf eine klare Trennung zwischen Privatem und Beruf und möchten deshalb auch für die Einzelarbeit ins Büro kommen. Was uns wieder zum breiten Spektrum an Angeboten und der individuellen, autonomen Gestaltung der eigenen Arbeitsumgebung bringt.

Können dritte Arbeitsorte eine Rolle im Kampf gegen den Fachkräftemangel spielen?

Schubert: Absolut! Ein Beispiel: Unser Hauptsitz ist in Nürnberg. Nicht jede Fachkraft möchte jedoch nach Nürnberg umziehen. In Berlin etwa arbeiten unsere Softwareentwicklerteams im Coworking-Space “Betahaus”. Unsere IT-Spezialisten können ihren Tätigkeitsschwerpunkt also in die Hauptstadt legen und auch dort wohnen. Gleichzeitig ist die DATEV als Arbeitgeber für die dortige IT-Szene sichtbar. Wenn plötzlich die Softwareentwickler:innen für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte mit in einem Coworking-Space sitzt, mag auffallen, dass es ja vielleicht doch ganz cool ist, was wir als DATEV machen. Zudem haben wir auf diese Weise Zugang zur IT-Startup-Szene und sind am Puls der Zeit.

Darüber hinaus haben unsere Mitarbeitenden die Möglichkeit, deutschlandweit remote zu arbeiten. Das kann im heimischen Umfeld sein oder in unseren 25 Niederlassungen. Das hat zwei Vorteile: Wir können nicht nur neue Fachkräfte gewinnen, sondern bereits bei uns beschäftigte Spezialisten ans Unternehmen binden.

  1. Neue Arbeitsmodelle – Herausforderungen und Lösungen
    Die digitale Transformation kann nur gelingen, wenn Unternehmen die Arbeitsplatzumgebung, Organisation und Erfolgsmetriken ändern. Das Marktforschungsunternehmen IDC nennt die vier größten Herausforderungen sowie Lösungsansätze.
  2. Herausforderung 1: Starre Arbeitswelten
    Arbeitsumgebungen von vor 20 Jahren sind heute nicht mehr agil genug, um den Erfolg von Unternehmen künftig zu sichern. Die schiere Anzahl der Tools und Datentypen, die heute für den Ablauf eines Arbeitsprozesses erforderlich sind, verursacht unnötige Reibungsverluste und kontextuelle Verschiebungen. Das verringert die Geschwindigkeit sowie Produktivität und erhöht die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter bei gleichzeitiger Frustration.
  3. Lösungsansatz: Digitial Workplace
    Schaffen Sie einen intelligenten digitalen Workplace. IDC prognostiziert, dass bis 2024 ein Drittel der G2000-Firmen auf einen globalen, sicheren, in hohem Maße integrierten und auf Zusammenarbeit ausgelegten intelligenten Digital Workplace angewiesen sein wird, der es Unternehmen ermöglicht, als grenzenlose Organisationen zu funktionieren.
  4. Herausforderung 2: Talente sind rar
    Drei Viertel der Befragten einer weltweiten IDC-Befragung zur Zukunft der Arbeit geben an, dass es für ihre Organisation zumindest in Teilbereichen problematisch ist, Digitalkompetenz zu rekrutieren. Viele räumen in Sachen Rekrutierung und Bindung der besten Talente sowie der Entwicklung deren digitaler Fertigkeiten Defizite ein.
  5. Lösungsansatz: Digitale Lernmöglichkeiten anbieten
    Um Engpässe bei am Markt verfügbaren Talenten zu überwinden, erfordert die Zukunft der Arbeit intelligentere, agilere und anpassungsfähigere Lernwege. Bis 2022 wird ein Drittel der G1000-Unternehmen dynamische und auf künstliche Intelligenz basierende Bildungswege für die Karriereentwicklung und Nachfolgeplanung anbieten. Für diese Unternehmen werden Talente zu einem ganz klaren Wettbewerbsvorteil.
  6. Herausforderung 3: Starre Organisationen und hierarchische Führung
    Herkömmliche statische Organisationen agieren eher reaktiv als vorausschauend proaktiv. Außerdem sind hierarchische Führung, Entscheidungsfindung und Top-down-Mandate das Gegenteil von Anpassungsfähigkeit und Agilität. Müde Teams verzögern den Fortschritt ebenfalls.
  7. Lösungsansatz: Rekonfigurierbare Teams bilden
    Organisationen, die ihre starren Strukturen und Führungsstile ändern wollen, sollten die Einführung eines agilen, funktionsübergreifenden Betriebsmodells “Squad” in Betracht ziehen. Bis 2024 werden zwei Drittel der Mitarbeiter in leistungsstarken G2000-Unternehmen von statischen Rollen in dynamische, multidisziplinäre, ergebnisorientierte und rekonfigurierbare Teams wechseln.
  8. Herausforderung 4: Unangepasste Sicherheit und Vertrauen
    Die Spannungsfelder zwischen zuverlässiger Sicherheit und Verfügbarkeit von Ressourcen sind in der heutigen Arbeitswelt ziemlich offensichtlich. Aufwendige und sich wiederholende Sicherheitsmaßnahmen beeinträchtigen die Produktivität und damit auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter.
  9. Lösungsansatz: Vertrauen in die Firmen-DNA schaffen
    Finden Sie einen Weg, um Authentifizierung, Sicherheit und Compliance in Einklang zu bringen und dabei gleichzeitig gesetzliche Vorgaben zu erfüllen, Vertrauen zu schaffen und die Innovationskraft zu steigern. Schließen Sie sich den erfolgreichen Unternehmen an, die daran arbeiten, digitale Innovationen in ihre Sicherheits-, Datenschutz- und Vertrauensprotokolle zu integrieren.

Hintergrundinformation:

Einen eigenen Coworking-Space hat DATEV in der Zentrale eingerichtet. Neben verschiedenen Arbeits-, Projekt- und Meeting-Flächen gibt es dort eine “Community Hall”. Der rund 200 Quadratmeter große Raum wirkt wie ein Café mitsamt Barista. Der interne Coworking-Space hat sich in den letzten Monaten zu dem “place to be” bei DATEV entwickelt. Hier trifft man sich, hier wird gearbeitet. Darüber hinaus läuft aktuell ein auf sechs Monate ausgelegtes Pilotprojekt mit insgesamt fünf externen Coworking-Spaces in der Metropolregion Nürnberg. Die Vision: Ein so dichtes Netz aufzubauen, dass alle Mitarbeitenden den nächsten Space in maximal 15 Minuten vom jeweiligen Wohnort aus erreichen können. (pg)

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