Wie die Integration gelingt

ITD: Herr Schindler-Grünholz, die In­tegration von IT-Services und Business-Anwendungen ist für viele ­Unternehmen eine Herausforderung. Wie können sie unterstützt werden?
Sven Schindler-Grünholz: Im Rahmen klassischer Integrationsprojekte versuchen Organisationen, verschiedene Anwendungen und IT-Services direkt über die bereitgestellten Schnittstellen (APIs) miteinander zu verbinden. Dabei kommt es zu einer Vermengung von technischen und Business-Anforderungen in einer Lösung. Aufgrund der Anbietervielfalt, schlecht dokumentierter oder fehlender Schnittstellen und des Drangs, alle erdenklichen Prozesse zu automatisieren, dauern Integrationsprojekte meist viele Monate oder gar Jahre. Dies kostet nicht nur wertvolle Zeit, sondern führt zu hohen Kosten, und es ist nicht sicher, dass die Integration mit den bereitgestellten Budgets auch gelingt. Für Organisationen wäre es eine Hilfe, wenn sie im Geschäftsalltag genutzte Anwendungen schneller miteinander integrieren sowie entsprechende Projekte mit dem vorhandenen Personal zu exakt kalkulierbaren Kosten und realisieren könnten.

ITD: Warum kann die Integration von am Markt ­ver­fügbaren Software-Lösungen die bessere Alternative zu Eigenentwicklungen sein?
Schindler-Grünholz: Eigenentwicklungen lassen sich gefühlt am besten auf individuelle Anforderungen anpassen. Der Betrieb, die Wartung und die Weiterentwicklung mit eigenen Ressourcen oder Dienstleistern sind zeitaufwendig, teuer und personalintensiv. Dies gilt vor allem dann, wenn die Anwendungen von mehreren Standorten verwendet werden, jedoch ursprünglich als On-Premise-Lösungen geplant waren und nun in die Cloud portiert werden sollen. Hinzu kommt die mangelnde Flexibilität: Wenn bei einer Integration technologische Anforderungen und Business-Logik aus einem Guss entwickelt werden, müssen diese bei Änderungen auch gemeinsam angepasst werden – gleich ob sich nur technische oder prozessuale Anforderungen ändern. Gewachsene IT-Infrastrukturen sind oft nicht nur eingeschränkt kompatibel mit am Markt verfügbaren State-of-the-Art-Anwendungen. Organisationen müssen heutzutage aber in der Lage sein, schnell und flexibel auf veränderte Anforderungen zu reagieren und auch mit wenigen IT-Fachkräften den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten zu können. Ich denke, der effizienteste Weg dahin ist die Nutzung am Markt verfügbarer Cloud-Lösungen und deren Integration mit den jeweils benötigten Fachanwendungen. Die dazu notwendigen Projekte sind jedoch oft sehr zeitaufwendig, da die Anwendungen auf unterschiedlichen Business-Logiken basieren.

Ein Beispiel dafür ist das Abgleichen von Prioritäten: Während eine Anwendung Buchstaben verwendet, nutzt eine andere die zu integrierenden Zahlen. Das ist noch einfach zu bewältigen. Die Komplexität steigt, wenn in einer Software mehr Prioritätsstufen vorhanden sind als in der anderen. Hier muss entschieden werden, wie mit einer solchen Situation umzugehen ist. Je nach Funk­tionsumfang der Software-Lösungen kann dadurch die Zahl der „Baustellen“ sehr hoch ausfallen.

ITD: Worauf müssen Unternehmen bei der Wahl der ­Anbieter neuer Lösungen achten?
Schindler-Grünholz: Neben den benötigten Funktionalitäten und passenden Lizenzmodellen sollten Organisationen darauf achten, dass die Anwendungen „Cloud-native“, also speziell für den Cloud-Betrieb designt wurden. Nur mit einer Public-Cloud-Anwendung ist es möglich, automatisiert auf Schwankungen in der Auslastung zu reagieren. Die Lösungen sollten in nach ISO 27001 zertifizierten Rechenzentren betrieben werden, die alle gängigen Sicherheitsstandards erfüllen und Penetra­tionstests durchlaufen haben. Für die spätere Integrationsanpassungen ist es wichtig, dass die Anwendungen über hoch flexible, leicht bedienbare No-Code-Benutzeroberflächen (UIs) verfügen, die getrennte Anpassungen von technologischen und prozessualen Anforderungen ermöglichen.

ITD: Warum benötigt die Unternehmensintegration eine neue industrielle Revolution?
Schindler-Grünholz: Zu den wichtigsten Gründen für die Industrielle Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts gehören der technische Fortschritt, das Bevölkerungswachstum, die verstärkte Nachfrage nach Lebensmitteln und eine ausreichend große Zahl von Arbeitskräften. Die Situation ist heute mindestens genauso komplex, jedoch geht es vor allem um Kostensenkungen, Klimawandel und Fachkräftemangel. Um diese Herausforderungen zu meistern, sind Effizienzsteigerungen sowie die Gewinnung von Erkenntnissen durch die Analyse großer Datenmengen unerlässlich. Die dafür erforderliche Digitale Transformation geht aus den oben genannten Gründen bisher nur sehr schleppend voran. Auf die IT bezogen bedeutet das: Wir brauchen Technologien, die Unternehmen in die Lage versetzen, komplexe Digitalisierungsprojekte zu beschleunigen und zu automatisieren – ähnlich wie die Erfindung der Dampfmaschine und des mechanischen Webstuhls zu einer enormen Beschleunigung führte.

ITD: Wie ist diese zu bewerkstelligen?
Schindler-Grünholz: Standardisierung und Automatisierung sind die wichtigsten Voraussetzungen der neuen industriellen Revolution. Beide bedingen einander: Ohne Standardisierung keine Automatisierung, wie auch die beste Dampfmaschine ohne Kohle und Wasser nutzlos ist. Für Software-Anwendungen bedeutet das: Auch wenn Anwendungen bestimmte Architekturen wie REST unterschiedlich einsetzen, folgen sie doch gewissen Standardverfahren. Dies gilt auch für Tools wie Enterprise Service Management (ESM), die bei Managed Services Providern (MSP) verwendet und für Kunden bereitgestellt werden. Sie helfen, eine Vielzahl unterschiedlicher Lösungen zu integrieren, folgen jedoch fast immer einem gewissen Standard.

Dies ist ein Artikel aus unserer Print-Ausgabe 9/2022. Bestellen Sie ein kostenfreies Probe-Abo.

Diese Gegebenheit können und sollten moderne ­Integrations-Tools nutzen und für unterschiedliche ­Anwendungsfälle klar definierte Standards abbilden. Neben den Tool-Herstellern sind die Anwender selbst gefragt: Für Organisationen ist es unerlässlich, Prozesse zu optimieren und die Geschäftsanwendungen und die Business-Logik kontinuierlich an neue Anforderungen anzupassen.

Integrationen können Stand heute bereits industrialisiert erstellt werden. Moderne Integrations-Tools verwenden dazu beispielsweise KI-Technologien, um die Business-Logik zwischen zwei Anwendungen zu erstellen – und bei Bedarf auch extrem schnell zu ändern. Durch die Kombination aus standardisiertem Technologieansatz und automatisierter Erstellung von Integrationen können entsprechende Projekte im Hinblick auf ihre Kosten, Personal- und Zeitaufwände signifikant effizienter gestaltet werden. Dank dieser technologischen Revolution werden Unternehmen sich künftig genauso wenig mit dem Wie von Integrationen beschäftigen müssen wie mit der Frage, ob ein Flugzeug, in das wir heute einsteigen, auch tatsächlich ­fliegen kann.

Bildquelle: Oneio

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