Führung im digitalen Zeitalter

Laut einer Ende 2020 durchgeführten Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) unter knapp 3.500 Betrieben in Deutschland ist die ­Digitale Transformation aus Sicht der Betriebe mit zahlreichen unternehmerischen Herausforderungen verbunden. Dabei steht die Aufgabe, vorhandene Systeme und Prozesse umzustellen, branchenübergreifend an vorderster Stelle (45 Prozent). Besonders häufig wird diese Herausforderung von größeren Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern aufgeführt (66 Prozent). Dabei werden die Kompetenzen und das digitale Know-how der Mitarbeiter und Führungskräfte als sehr bedeutend für die Digitalisierungsprozesse in den Unternehmen angesehen. 68 Prozent der befragten Betriebe sind überzeugt, dass vor allem die Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien weiterentwickelt werden müssen. Auch in den Bereichen „agiles Arbeiten“ und „flexible Arbeitsorganisation“ sieht die Hälfte der Unternehmen (51 Prozent) große Potenziale. Die Frage, wie die Menschen die ­Digitale Transformation im Unternehmen gestalten und voranbringen, rückt also in den Mittelpunkt.

Durch die Corona-Pandemie hat sich die Digitalisierung in den letzten zwei Jahren in vielen Unternehmen noch einmal rasant beschleunigt. Dadurch steigt auch der Druck auf Führungskräfte, sich auf die tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitsstrukturen und -prozesse einzustellen. „Der Umgang mit Disruption, hoher Dynamik und steigender Komplexität stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen und erfordert daher ein radikales Umdenken der Rolle und erforderlichen Fähigkeiten einer Führungskraft“, erklärt Ludmilla Kemling, Head of Change Experience bei der Camelot Management Consultants AG. Das Konzept des „Digital Leadership“ beschreibt in diesem Kontext die erforderlichen Aufgaben und Werkzeuge der Führung in Zeiten der Digitalen Transformation.

Das Team steht im Fokus

Kernziel ist dabei eine Abkehr von traditionellen Strukturen hin zu agilen Arbeitsformen mit flexiblen Teams und einer konsequenten Nutzung von digitalen Tools. Aber was macht einen guten „Digital Leader“ aus? „Führungskräfte brauchen heute viel Zutrauen und Vertrauen in ihre Mitarbeiter. Sie müssen das Team dabei unterstützen, die richtigen Aufgaben auch in verteilten Teams gut wahrnehmen zu können“, erklärt Iris Aigner, Head of Organisational & Talent ­Development bei Campana & Schott. „Außerdem ­äußert sich gute Führung im digitalen Zeitalter durch Autonomie und Freiheitsgrade für die Belegschaft.“ Da Mitarbeiter dies immer stärker einforderten, müssten Führungskräfte hier umdenken und das alte, hierarchische Denken ablegen. Das sieht Marc Oliver Hugger, CEO bei Tresonus, ganz ähnlich: „Es geht darum, Freiräume zu schaffen sowie Neugier und Experimentierfreude zu fördern, denn nur wenn Mitarbeiter digitale Tools und Workflows ausprobieren und erleben können, werden sie deren Wert erkennen und damit Innovationen im Unternehmen einfordern und voranbringen.“ Wird dagegen alles nur „Top-down“ entschieden, fühlen sich die Angestellten zu Recht nicht wert­geschätzt und die Motivation, überhaupt noch in dem Unternehmen zu arbeiten, sinkt rapide.

Gerade in der Anfangsphase eines Digitalisierungsprojekts ist es entscheidend, dass ein „Digital Leader“ als Impulsgeber und Brückenbauer fungiert. „Zu den wichtigsten Skills gehört die Fähigkeit, die eigenen Mitarbeiter zu motivieren und das Team für die anstehenden Herausforderungen gut vorzubereiten“, meint Iris Aigner. Da Führungskräfte ihre Mitarbeiter vor dem Hintergrund hybrider Arbeitsmodelle zudem nur noch selten persönlich antreffen, müssen sie schnell verstehen, was sie motiviert und wie sie am besten eingesetzt werden können. Gerade im virtuellen Raum sei es wichtig, auch die Zwischentöne wahrzunehmen, erklärt Simone Wamsteker, Chief Human Resource Officer bei Detecon International. „Es geht um aktives Zuhören, darum, sich Fragen zu stellen wie ‚Was brauchen meine Mitarbeiter, um erfolgreich zu sein? Wo oder wie kann ich sie unterstützen?‘. Und es bedarf der Fähigkeit, kontinuierlich Lösungen gegen sich ändernde Umfeldbedingungen abzuwägen.“ Nicht zuletzt sollte ein „Digital Leader“ auch kleinere Etappensiege feiern und Erfolge würdigen. „Der ‚Digital Leader‘ ist kein Alleinkämpfer – das Team und der Beitrag eines jeden zum gemeinsamen Ziel stehen im Fokus. Man muss die Kompetenzen im Team erkennen und diese richtig einsetzen“, sagt Ludmilla Kemling.

Aus Fehlern und Rückschlägen lernen

Digitale Führung ist ein fortlaufender Prozess, es gibt also gewissermaßen keine Endstation. „Digitalisierung ist eine Daueraufgabe und ein Mindset, eine Haltung“, betont Eric Schott, Geschäftsführer von Campana & Schott. Im Transformationsprozess gehe es darum, gemeinsam Neues auszuprobieren. Natürlich läuft dabei nicht alles beim ersten Anlauf perfekt. Darum gehe es aber auch gar nicht, sagt Simone Wamsteker von Detecon: „Unternehmen sollten offen dafür sein, dass Fehler passieren, und bereit sein, aus ihnen zu lernen. Sie sollten eine Kultur schaffen, in der Fehler nicht unter den Teppich gekehrt werden, sondern versucht wird, sie frühzeitig zu erkennen und als Ansatzpunkt und Chance für bessere Prozesse zu nutzen.“ Dem „Digital Leader“ kommt dabei die Aufgabe zu, Transparenz über den Prozess zu schaffen, die Mitarbeiter auch durch schwierige Fahrwasser zu navigieren und ihre Sorgen und Ängste ernst zu nehmen.

Dies ist ein Artikel aus unserer Print-Ausgabe 3/2022. Bestellen Sie ein kostenfreies Probe-Abo.

„Eine gute Führungskraft wird es schaffen, Räume zu öffnen, in denen schamfrei und ohne Scheu über Sorgen, Ängste und Herausforderungen gesprochen werden kann“, sagt Ulrike Volejnik, Head of Business Area New Work bei der T-Systems Multimedia Solutions. Niemand müsse ein „Digital Native“ sein, um digital arbeiten zu können. Es sollte aber auch keinem zugemutet werden, von analog auf digital in 100 Sekunden kommen zu müssen. Wandel brauche eben seine Zeit. Daher ist es besonders wichtig, dass Führungskräfte in der Lage sind, flexibel durch den Wandel zu steuern und dabei mit Empathie und Umsicht vorzugehen. „Wir müssen in Deutschland dringend unsere Fehlerkultur reformieren. Es mag kitschig klingen, aber es gibt bei Fortschritt keine Fehler, es gibt nur Lern­effekte“, meint Volejnik. Ein Fehler zeige einem in der Regel immer einen neuen Weg auf. „Dabei darf nie der Eindruck vermittelt werden, dass Digitalisierung bestehende Qualifikationen abwertet, dass sie etwas ist, wodurch Mitarbeiter ‚abgehängt‘ werden könnten“, mahnt Simone Wamsteker. Vielmehr müsse das Potenzial digitaler Tools plausibel als Chance erklärt werden – und zwar in der Sprache der betroffenen Mitarbeiter, ohne unnötigen Fachjargon. „Digitalisierung darf sich nie als Endgegner im Buzzword-Gewitter präsentieren“, sagt Simone Wamsteker.

Digitalisierung ist eine Daueraufgabe

Fehler und Innovation seien untrennbar miteinander verbunden, meint auch Ludmilla Kemling. „Unternehmen, die Fehler als Teil eines Innovationsprozesses verstehen und die richtigen Strukturen und Prozesse etabliert haben, um aus ihren Fehlern zu lernen, haben die Nase vorn.“ Unternehmenskultur, Mindset und Führung seien auch hier die Hebel, um einen effektiven Umgang mit Rückschlägen und Fehlern zu fördern. „Am Ende werden sich nur die digitalen Innovationen durchsetzen, die den Arbeitsalltag und die Zusammenarbeit im Unternehmen und mit den Kunden wirklich und nachhaltig verbessern oder erleichtern“, sagt Marc Oliver Hugger von Tresonus. In der Pandemie hätten die meisten Unternehmen erkannt, dass sie die Digitale Transformation jetzt stemmen müssen. „Gefährlich betroffen sind die Branchen, die denken, dass sie mit der Digitalisierung schon durch sind“, warnt Eric Schott. „Wie gesagt, ist die Digitalisierung eine Daueraufgabe und ein Mindset. Unternehmen müssen sich immer wieder fragen: ‚Wie können wir unsere Kunden noch besser digital bedienen und wie können wir unsere Prozesse noch intelligenter digitalisieren?‘ Erst wenn die gesamte Organisation in diese Richtung denkt, ist das Unternehmen auf dem richtigen Weg.“

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