„Es gibt bei Fortschritt keine Fehler, nur Lerneffekte“

ITD: Frau Volejnik, was verstehen Sie persönlich unter Führung im digitalen Zeitalter?
Ulrike Volejnik: An sich haben sich die grundlegenden Prinzipien von guter Führung nicht verändert. Ob ich meine Mitarbeitenden nun aus der Ferne oder vor Ort führe, ändert nichts an der Art und Weise wie das geschehen sollte. Natürlich sind einige Aspekte und technische Tools hinzugekommen, und es braucht neue Formate des Austausches. Grundsätzlich aber gelten weiterhin die Prinzipien, meinen Leuten die Entwicklungsmöglichkeiten zu geben, die ihre Stärken fördern, Transparenz walten zu lassen, Fehler zuzulassen und konstruktives Feedback zu geben. Der wohl größte Unterschied zu „früher“ ist, dass Führungsqualitäten von den Mitarbeitenden wesentlich aktiver eingefordert werden. Das Verständnis eines guten Arbeitsumfeldes hat sich (auch durch das Digitale) gewandelt und Unternehmen müssen sich danach richten. 

Führung bedeutet auch verstärkt, sich nicht allein auf Hierarchien oder disziplinarische Führungsstrukturen zu verlassen, sondern eine Rolle mit einer Verantwortung z.B. für die Markt- und Kundenentwicklung, die Portfolio-Entwicklung oder Kompetenzen und Skills zu übernehmen und dabei über die Grenzen der eigenen Abteilung und Hierarchie hinaus zu denken und Zusammenarbeit zu leben. Dazu gehören Perspektivwechsel und die Bereitschaft zu verändern. Digitalisierung hilft, die Grenzen durchlässiger zu machen.

ITD: Was zeichnet einen guten „Digital Leader“ aus?
Volejnik: Gute Digital Leadership greift auf unterschiedliche Methoden zurück, die jeweils zur richtigen Zeit und am richtigen Ort angewendet werden. Diese Methoden zielen darauf ab, das Talent der eigenen Mitarbeitenden bestmöglich zu fördern und so gleichzeitig das Beste für den Kunden und die Ziele des Unternehmens herauszuholen. 

ITD: Welche Kompetenzen und Soft Skills sollten digitale Leader mitbringen, um die Digitale Transformation im Unternehmen zu stemmen?
Volejnik: Digitale Leader sollten vor allem in der Lage sein, flexibel durch den Wandel zu steuern und dabei mit Empathie und Umsicht vorzugehen. Sie sollten den Gesamtzusammenhang sowie die Makrosicht auf die Dinge erkennen und auf einzelne Tasks herunterbrechen können. Resilienz ist ebenfalls ein Stichwort, hinter dem mehr steckt als reiner Buzz: Digitale Leader müssen schnell über vermeintliche Rückschläge „hinwegkommen“ um eine neue und bessere Lösung zu finden. Digitale Transformationsprozesse sehen in jedem Unternehmen und auf jeder Stufe anders aus. Auch warten an jeder Ecke neue Überraschungen, mit denen vorher vielleicht nicht kalkuliert wurde. Führungskräfte müssen in der Lage sein zu erkennen, welche ihrer Mitarbeitenden an welchen Stellen den richtigen Einsatz finden und wie sie ihrem Team trotz Rückschlägen weiterhin ein lösungsorientiertes Arbeiten ermöglichen. 

ITD: Der digitale Wandel ist kein Kurzstreckenlauf. Wie lassen sich die Mitarbeiter dazu motivieren, den gesamten Transformationsprozess im Unternehmen aktiv mitzugestalten?
Volejnik: Es gibt die Idee, dass etwa 20 Prozent der Mitarbeitenden einer Organisation als die treibende Kraft von Veränderungen gelten. Ich denke das kommt in etwa hin. Wenn man diese 20 Prozent stärkt, sie ernst nimmt und wirksam sein lässt, ihnen die richtigen Tools an die Hände gibt und ihre Stärken fördert, dann besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass dieser Teil des Teams die anderen mit seiner Begeisterung ansteckt. Das ist das eine. Die anderen Punkte sind Transparenz und Gestaltungsspielraum: Wer mit offenen Karten spielt und seinen Mitarbeitern die Möglichkeit gibt Ideen und Vorschläge einzubringen, der hat ganz automatisch mehr Unterstützung. Wenn die Ideen und Vorschläge aber nur pro forma abgefragt werden und am Ende von oben herab anders entschieden wird, fühlen Angestellte sich vollkommen zurecht veräppelt und die Motivation überhaupt in dem Unternehmen zu arbeiten sinkt rapide.

ITD: Wie lassen sich innovative Ansätze und agile Arbeitsformen nachhaltig im Unternehmen etablieren?
Volejnik: Es gibt wahnsinnig viele Methoden von Agilität. Das ist erstmal nichts schlechtes, aber ein unüberlegtes Loslaufen nach dem Trial und Error-Prinzip halte ich für einen Fehler. Immer wieder etwas Neues auszuprobieren und das nach kurzer Zeit zu verwerfen, um wieder etwas Neues anzufangen macht müde. Führungskräfte sollten sich daher lieber etwas mehr Zeit nehmen, um die richtigen Methoden zu finden, dabei ins Team hineinhorchen, auf Bedürfnisse achten und diese in ihre Überlegungen einfließen lassen. Die richtige Methode ist da draußen, ganz sicher! Und dann gilt es natürlich, diese auch konsequent zu verfolgen. Wenn ich also zum Beispiel Scrum einführe, als Vorgesetzte aber nur nachlässig selbst nach den Prinzipien dieser Methode arbeite, dann setze ich ein falsches Signal. Die Wahl der Arbeitsform kann sich natürlich nach einiger Zeit trotz aller Vorüberlegungen als die falsche erweisen. Das passiert. Probleme und Herausforderungen transparent zu besprechen, hilft dabei, aus der Erfahrung zu lernen und es beim nächsten Mal besser zu machen.

ITD: Wie lassen sich auch diejenigen Mitarbeiter, die nicht zu den „Digital Natives“ gehören und sich im Umgang mit neuen Tools besonders schwertun, in die modernen Arbeitsabläufe integrieren?
Volejnik: Eine gute Führungskraft wird es schaffen, Räume zu öffnen, in denen schamfrei und ohne Scheu über Sorgen, Ängste und Herausforderungen gesprochen werden kann. Niemand muss ein Digital Native sein, um digital arbeiten zu können. Es sollte aber auch niemandem zugemutet werden, von analog auf digital in 100 Sekunden kommen zu müssen. Wandel braucht seine Zeit und Übung macht bekanntlich die Meisterin.

ITD: Wie sollten Unternehmen mit Fehlern und Rückschlägen beim Transformationsprozess umgehen?
Volejnik: Wir müssen in Deutschland dringend unsere Fehlerkultur reformieren. Es mag kitschig klingen, aber es gibt bei Fortschritt keine Fehler, es gibt nur Lerneffekte. Woher soll ich denn wissen was richtig ist, wenn ich nicht weiß, was falsch ist? Ein „Fehler“ zeigt einem in der Regel einen neuen Weg. Manchmal muss man dafür ein paar Schritte zurück gehen, aber es gibt definitiv einen Lernerfolg. Das gleiche mit vermeintlichen Rückschlägen. Ich sage vermeintlich, weil auch sie einem die Grenzen aufzeigen. Wenn ich in meinem Unternehmen also eine Kultur etabliere, in der diese Begriffe nicht mehr so negativ besetzt sind, dann schaffe ich Freiräume. Freiräume für neue Ideen und Methoden, die uns weiterbringen, als es jede Rüge je tun würde. Aus Fehlern und Rückschlägen lernen, weiter vertrauen und vorangehen macht Erfolg aus. Für erfolgreiche Transformationen brauchen wir genau das, denn wir wissen ja gar nicht genau, wo der Weg lang geht. 

ITD: Welche Branchen sind noch besonders von dem Thema „Digitalisierung“ betroffen und warum?
Volejnik: Besonders im Gesundheitsbereich sehe ich noch sehr viel Luft nach oben. Man hat es ja nicht zuletzt im Zuge der Pandemie gesehen. Die Digitalisierung und Vernetzung der einzelnen Akteure des Gesundheitswesens in Deutschland ist mit Verlaub gesagt unterirdisch. 

Bildquelle: T-Systems Multimedia Solutions GmbH

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