So geht Digitalisierung schneller

Ohne moderne IT-Infrastruktur sehen Unternehmen im Wettbewerb zunehmend „alt“ aus. Der US-amerikanische Anbieter Workday hat sich auf die Fahne geschrieben, bei der Legacy-Ablösung zu helfen. Im Vordergrund stehen dabei Cloud-Lösungen für Finanzmanagement, Human Resources (HR) und Planung.

ITD: Herr Löhmar, wie hat sich die Situation Ihrer Kunden in den letzten Jahren verändert? Was bewegt die Unternehmen derzeit besonders stark?
Jens Löhmar: Egal ob Inflation, Preissteigerungen, Energieknappheit oder Lieferkettenengpässe: Unternehmen müssen sich heute immer kurzfristiger neuen Rahmenbedingungen anpassen. Die letzten Jahre waren mit der Corona-Krise schon sehr herausfordernd. Die Pandemie hat aber auch viele Entwicklungen beschleunigt, darunter die Digitalisierung und Remote-Arbeit im Homeoffice. Unternehmen, die bereits auf eine IT-Modernisierung und die Cloud gesetzt hatten, konnten davon stark profitieren. Dennoch kämpfen viele Firmen mit veralteter IT-Infrastruktur, die im Wettbewerb zum Problem wird. Aus unserer Sicht hat jedoch die Mehrheit verstanden, dass eine andere Infrastruktur notwendig ist, um mit der Unsicherheit umzugehen und datengestützt bessere Entscheidungen treffen zu können.

ITD: Sie haben in einer Studie untersucht, wie Unternehmen im deutschsprachigen Raum mit dem Dauerbrennerthema „Legacy-Modernisierung“ umgehen. Was hat Sie dabei am meisten überrascht?
Löhmar:
Der digitale Wandel beschäftigt die Unternehmen ja bereits seit einigen Jahren und viele sind schon länger auf dem Weg hin zu einer Harmonisierung und Modernisierung ihrer Enterprise-Resource-Planning- (ERP) und IT-Landschaft. Angesichts dessen hat es uns erstaunt, dass die Unternehmen ihrer Infrastruktur im Schnitt nur die Schulnote 3 gegeben haben. Wir haben Eigenschaften wie Performance, Compliance, Ausfallsicherheit oder Flexibilität abgefragt. Während die Performance noch am besten bewertet wurde, schnitt die Flexibilität – die für die Anpassung an neue Herausforderungen besonders wichtig ist – vergleichsweise schlecht ab. Auch interessant: Die am kritischsten eingestellte Gruppe sind die Anwender. Sie bewerten nahezu alle Faktoren schlechter als die IT-Abteilung und das C-Level.

ITD: Aus der Praxis ist immer wieder zu hören, dass viele Modernisierungsprojekte nur schwer vorankommen. Wie sehen das die Befragten?
Löhmar: Nur jedes zehnte Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern hat seine Modernisierungsinitiativen z.B. im ERP-Umfeld bereits abgeschlossen. Etwa ein Drittel will innerhalb eines Jahres oder schneller damit fertig werden, gut ein weiteres Drittel jedoch erst in ein bis drei Jahren. 11,4 Prozent gehen sogar von längeren Zeiträumen aus.

ITD: Warum ist die Modernisierung der Altsysteme aus Ihrer Sicht so wichtig? In welchen Bereichen reicht es vielleicht auch, die alten Systeme als Workload in die Cloud zu heben und für Connectivity über eine gemeinsame Plattform zu sorgen?
Löhmar: Insbesondere viele geschäftskritische Anwendungen sind schon lange im produktiven Einsatz und mittlerweile in die Jahre gekommen. Sie basieren auf veralteten Technologien, verschachtelten Code-Basen und monolithischen Architekturen. Das treibt die Kosten für Betrieb und Wartung in die Höhe und stellt ein zunehmendes Sicherheitsrisiko dar. Es gibt zudem immer weniger Mitarbeiter, die mit diesen Technologien vertraut sind. Durch schnelle Modernisierung entsteht neben mehr Sicherheit vor allem eine höhere Geschwindigkeit: einerseits von Prozessen und andererseits bei der Entwicklung neuer Services und Produkte, die über das IT-System unterstützt abgewickelt werden. Teilweise kann es aber auch sinnvoll sein, passgenaue Industrielösungen oder wettbewerbsdifferenzierende Eigenentwicklungen nochmal in die Cloud zu heben und dort mit neuen Systemen zu integrieren.

ITD: Warum tun sich die Unternehmen oft so schwer mit der Umsetzung? Letztlich geht es ja schon seit Jahrzehnten in mehreren Wellen immer wieder um die Anpassung, z.B. beim Versuch, die ERP-Systeme zu harmonisieren. 
Löhmar: Die Legacy-Modernisierungsstudie zeigt, dass es die Studienteilnehmer vor allem mit drei Problemfaktoren zu tun haben. Über 40 Prozent beklagten Zielkonflikte bei den Technologien: Das bedeutet, es gibt ein mangelndes Verständnis dafür, welche unterschiedlichen Technologien sich für die Umsetzung bestimmter Anforderungen eignen und wie diese zusammenspielen. Oft wurde über Jahrzehnte auf die immer gleichen Anbieter gesetzt, ganze Werdegänge in den Firmen basieren darauf. Das macht es schwieriger, sich in neue Lösungen und Ansätze hineinzuversetzen. 37 Prozent beklagten zudem die Schwierigkeit, das Budget vom Management zu bekommen, und immerhin ein Viertel nannte die Komplexität dieser Projekte als Problem.

ITD: Welche Herangehensweisen und Ansätze haben sich aus Ihrer Sicht bei der ERP-Modernisierung in der Praxis am besten bewährt? Was sind typische Stolpersteine und welche Themen darf man auf keinen Fall aus den Augen verlieren?
Löhmar: Das Problem mit der Komplexität macht sich in der Praxis vor allem dadurch bemerkbar, dass es vielfach schwerfällt, einen Startpunkt für die Modernisierung zu finden und eine klare Roadmap zu entwickeln. Hier hat sich bewährt, die bestehende ERP-Landschaft zu analysieren und nach fachlichen Domänen zu zerlegen. Für viele Bereiche gibt es bereits bewährte Software-as-a-Service-Lösungen (SaaS). Es gilt damit, die einzelnen „Boote“ zu ersetzen, Interoperabilität herzustellen und so rasch die Legacy-Abhängigkeit zu reduzieren. Ganz entscheidend ist jedoch eine Vision, wie man Arbeitsprozesse neu definieren will. Immer wieder wird auch die Entscheidung getroffen, in einer ERP-Anwendung zu bleiben und die Digitalisierung über Workflow-Lösungen zu realisieren. Damit erhalten die Anwendungen zwar ein neues Look & Feel, die Zukunftsfähigkeit ist jedoch nicht gegeben. Denn Prozesse werden damit nicht nachhaltig geändert und sind auch nicht leichter anpassbar – das Legacy-Dilemma bleibt. Es lohnt sich mehr, auf Cloud-Alternativen zu wechseln und von der ständigen Innovation zu profitieren, die der Anbieter dort bereitstellt.

ITD: Die meisten Unternehmen haben bereits ERP-Lösungen im Einsatz, mit denen sie individuelle und branchenspezifische Prozesse abbilden. Finance und Controlling sind oft zentrale Bestandteile dieser Anwendungen. Wo gliedert sich Workday dabei ein?
Löhmar: Es ist richtig, dass Finanz- und Controlling-Prozesse historisch zunächst eine größere Nähe zu den anderen gewachsenen Systembereichen hatten. Während Human Capital Management (HCM) übergreifend einsetzbar ist, haben viele Anwender den Finance-Bereich erst einmal ausgeklammert. Wir sehen hier allerdings derzeit viel Bewegung, sicherlich auch aufgrund der aktuellen Situation, in der dringend mehr Transparenz und aussagekräftigere Erkenntnisse im Finanzwesen benötigt werden. Eine Gesamtbetrachtung von HR und Finance hilft auch dabei, Strategien schneller an den Wandel anzupassen und die Automatisierung von kritischen Prozessen zu beschleunigen. Das zeigt sich z.B. darin, dass sich kürzlich Salesforce als Weltmarktführer für Customer Relationship Management (CRM) entschieden hat, neben Workday Human Capital Management nun auch Workday Financial Management inklusive Workday Accounting Center einzusetzen. Der Ansatz, über Workday Accounting Center operative Daten aus anderen Systemen zusammenzuführen, eröffnet die Einsatzmöglichkeit in unterschiedlichsten Industrien: beispielsweise im Handel durch die Anbindung von Point-of-Sales-Systemen (POS) oder von Altsystemen im Banken- und Versicherungsumfeld, die nahtlos in eine Buchhaltung überführt werden können.

ITD: Sie meinen, dass klassische ERP-Systeme in Krisenzeiten an Grenzen geraten und häufig nicht die Flexibilität und Agilität ermöglichen, die für die Wettbewerbsfähigkeit und strategische Anpassungen notwendig sind. Was fehlt? Und wie wichtig wird die Fähigkeit, unterschiedliche Geschäfts-Outcomes zu simulieren?
Löhmar: Klassische ERP-Systeme sind meist starrer und komplexer. Jede Anpassung braucht viel Zeit und ist mit hohen Kosten verbunden, die Sicht auf die Daten bleibt oft fragmentiert. Um bessere Optimierungspotenziale und geeignete Maßnahmen zu identifizieren, müssen jedoch Gewinn- und Verlustrechnungen lückenlos vom buchhalterischen Eintrag bis hin zu den Quelltransaktionen verfolgt werden können. Unternehmen sind angesichts der Dynamik auf ein Planungs-Tool angewiesen, das auf einer qualifizierten Datenbasis schnelle Entscheidungen unterstützt und diese wieder in die ausführenden Systeme zurückspielt. Dafür sind jedoch intelligente Werkzeuge wie Workday Adaptive Planning nötig, mit denen sich unterschiedliche Szenarien ohne Limitierung von Planungsdimensionen rechnen lassen.

ITD: Welche Rolle spielt die Notwendigkeit, Nachhaltigkeit voranzutreiben und diese Bemühungen auch dokumentieren und bilanzieren zu können, wenn es um die Modernisierung der IT-Systeme geht? Wo liegen hier die größten Herausforderungen für die Anwenderunternehmen?
Löhmar: Es gibt eine Reihe neuer regulatorischer Vorgaben, die auch mit mehr Erwartungen von Stakeholdern und Investoren einhergehen. Viele Unternehmen tun sich hier schwer, weil es noch Neuland ist. Es gilt, passende Frameworks zu finden, neue Datensätze zu konsolidieren und konsistent weiterzugeben. Moderne Systeme bringen einen wesentlichen Vorteil mit, wenn es um die Offenheit geht, die Daten aus vielen Quellen zu synchronisieren. In unseren Anwendungen sind zudem bereits viele der Informationen für das Environmental-Social-Governance-Portfolio (ESG) vorhanden, gerade im Social Reporting. Im Einkaufs-Tool finden sich im Lieferanten-Management mit der Bewertung von Risiken und Nachhaltigkeit in der Supply Chain ebenfalls wichtige Informationen. Einige unserer Partner wie Deloitte helfen mit Programmen wie Accelerate to Zero dabei, die Emissionen schneller zu modellieren, und unterstützen bei der Erstellung von ESG-Reportings.

ITD: Reicht die Geschwindigkeit aus, mit der deutsche Unternehmen Prozesse digitalisieren? Laut einer anderen Studie, an der Workday beteiligt war, haben rund 50 Prozent der Unternehmen das Gefühl, bereits hinterherzuhängen. Wie bewerten Sie diese Einschätzung und woran liegt das? 
Löhmar: Es gibt sicherlich Luft nach oben. Oft sind die Best Practises der Digitalisierung nicht klar oder die Digitalstrategie ist nicht konsequent formuliert. Hinzu kommt: Die Digitalisierungsbemühungen sind zum einen nicht immer sofort sichtbar, zum anderen ist die Transformation keine einmalige Initiative. Das Etablieren eines digitalen Mindsets muss kontinuierlich weitergehen. Doch insbesondere bei deutschen Unternehmen zeigt sich in der Studie, dass das Tempo nicht aufrechterhalten werden kann und es schwerfällt, die Mitarbeiter mitzunehmen.

ITD: Welche Strategien sind aus Ihrer Sicht am erfolgreichsten für eine nachhaltige Transformation?
Löhmar: Ganz wichtig ist eine stringente Ausrichtung an Geschäftszielen und -strategien, indem verstärkt in interdisziplinären Teams gearbeitet wird. CFO, CEO, CHRO und CIO müssen an einem Strang ziehen und eine Kultur schaffen, die Veränderung besser trägt. Auch die technologische Grundlage sollte sich entsprechend verändern und einer der größten Hemmschuhe sollte aus dem Weg geräumt werden: die Verfügbarkeit und Qualität von Daten.

ITD: Welche Veränderungen bringt der akute Fachkräftemangel für HR-Abteilungen und die strategischen Planer in den Chefetagen? Wie kann die Digitalisierung dazu beitragen, hier die Chancen bestmöglich zu nutzen? Und wie können Unternehmen Trends wie dem „Quiet Quitting“ begegnen?
Löhmar: Der Fachkräftemangel ist bereits auf einem Hochstand. Um neue Leute anzusprechen und zu binden, sind bewerberfreundliche Recruiting-Strategien, Talent-Management und flexible Arbeitszeitmodelle essentiell. Die Mitarbeiter erwarten, dass diese Tools flexibel über Apps auf mobilen Endgeräten nutzbar sind, Stichwort „Employee“ und „Candidate Experience“. Dazu gehören automatisierte Lernvorschläge, passend zu Karrierewünschen, und die Möglichkeit, in „Gigs“ neue Aufgaben zu erleben – das führt erfahrungsgemäß zu mehr Zufriedenheit.

Dies ist ein Artikel aus unserer Print-Ausgabe 11/2022. Bestellen Sie ein kostenfreies Probe-Abo.

Spätestens jetzt ist mit hybriden Arbeitsmodellen auch kein Platz mehr für papierbasierte Prozesse in der HR. Moderne Feedback-Technologie wie Workday Peakon Employee Voice bietet die Möglichkeit, mit wenig Aufwand „dauerhaft gut zuzuhören“ und die Mitarbeiter regelmäßig in Surveys zu Wort kommen zu lassen. Wie ist das Stimmungsbild in der Belegschaft? So kann bei Negativentwicklungen rechtzeitig gegengesteuert werden.

ITD: Welche Ziele verfolgt Ihr Unternehmen mittel- und langfristig?
Löhmar: Unser Fokus liegt weiter darauf, in unseren Cloud-basierten Enterprise-Management-Lösungen ein überdurchschnittliches Kundenerlebnis sicherzustellen. Die Kundenzufriedenheit mit uns als Service-Anbieter liegt seit Jahren bei über 95 Prozent. Das wichtigste ist, für unsere über 9.500 Kunden weltweit relevant und benutzerfreundlich zu bleiben. Das wollen wir durch die zunehmende Integration von Machine Learning (ML) in den Benutzererfahrungen und die Analytik noch weiter optimieren.

Jens Löhmar

Alter: 48 Jahre
Derzeitige Position: CTO für Kontinentaleuropa und den deutschsprachigen Raum bei Workday
Interessen: Zeit mit der Familie verbringen, Gym ist seine alltägliche Meditation, Wassersport (Kitesurfen, Stand-Up-Paddling, Wingsurfen)

Bildquelle: Claus Uhlendorf

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