„Ohne Aha-Effekt setzt man keine Impulse“

ITD: Herr Dr. Abel, wie wichtig sind Personalverantwortliche in Krisenzeiten?
Abel:
Da die Wichtigkeit von HR angesichts der Knappheit an Talenten in den letzten Jahren generell zugenommen hat, sehe ich kein so großes Gefälle mehr bei der Wichtigkeit zwischen guten und unguten Zeiten. Natürlich wird der Spagat von HR in Krisenzeiten schwieriger: mit weniger Mitteln viel zu erreichen und oft schwierige Entscheidungen zu treffen, aber trotzdem auf Kurs zu bleiben. Personalverantwortliche haben allerdings auch Möglichkeiten, die richtigen Dinge anzupacken, denn im HR-Bereich gibt es viele Innovationen, die helfen könnten. Man kann häufig schon schnell erkennen, welcher HRler eher modernisieren und oder nur verwalten will – oder leider oft auch soll – nach dem Motto „Jetzt nicht noch zusätzliche Unruhe durch neue Projekte stiften“. Die Frage ist, wie man gesünder aus der Krise herauskommt.

ITD: Was sind die aktuell größten Wünsche von Mitarbeitern an ihre Arbeitgeber?
Abel:
Das variiert natürlich stark nach Rolle, Bedürfnissen, Funktionen, Unternehmen etc. Deshalb ist es so wichtig, es im Unternehmen je Zielgruppe herauszufinden. Ganz allgemein gesprochen hat unserem EX Trend Report zufolge die Rolle der Vergütung weltweit zuletzt stark zugenommen. Deutlich weniger Mitarbeiter als im Vorjahr (67 Prozent) fühlen sich fair bezahlt (61 Prozent). Gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, die Erwartungen zu erfüllen, wenn die Zufriedenheit mit der Vergütung steigt. Andere große Themen sind Work-Life-Balance (in allen Generationen, nicht nur bei der GenZ), Belastungsreduktion und auch das wertekonforme unternehmerische Handeln. Das alles zahlt auf die Motivation, die Bleibebereitschaft, das Zugehörigkeitsgefühl etc. ein.

ITD: Inwieweit integrieren Großunternehmen die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter in die Unternehmensstrategie?
Abel:
Was auf Unternehmenswebseiten als Versprechen an künftige Mitarbeiter steht, entspricht nicht immer der Realität, aber zumindest nutzen immer mehr Unternehmen moderne Feedback-Plattformen, um die Bedürfnisse, Meinungen und Ideen der Beschäftigten zu erfassen – nicht mehr nur mit klassischen Befragungen, sondern mit verschiedenen Methoden. Das Thema gewinnt im Zuge der Knappheit an Talenten eine deutlich größere Bedeutung und hat direkten Einfluss auf die Erreichbarkeit hochgesteckter Ziele. Manche Großunternehmen nutzen auf Vorstands­ebene Dashboards, die tagesaktuell zeigen, wo es hakt – ob bei der Candidate Experience, in verschiedenen Phasen der Beschäftigung, zu bestimmten Themen usw. Spannend ist auch, dass immer mehr Großunternehmen verstehen wollen, wie genau sich die Employee Experience auf die Customer Experience auswirkt, um dann zielgerichtet zu intervenieren. Meistens zeigt sich eine enorme Hebelwirkung. Gleiches gilt für die Erfassung der Bedürfnisse im Zuge der Strategieumsetzungen, also beispielsweise in großen Transformationsprojekten. Kontinuierlich die Resonanz zu messen, ist ganz entscheidend für das Gelingen solcher Projekte. Diese Erkenntnis ist übrigens nicht neu, wurde aber lange vernachlässigt. Vielleicht hat das Thema an Fahrt aufgenommen, weil es mittlerweile einfacher als je zuvor ist, diese Bedürfnisse zu sammeln und auszuwerten.

ITD: Was sind häufige Fehler beim Management der
Employee Experience? An welchen Stellen gibt es noch Verbesserungspotenzial?
Abel:
Wenn man HR-Verantwortliche fragt, wie wir es im diesjährigen State of HR Report getan haben, ist das größte Hindernis die fehlende Strategie. Viele Unternehmen setzen nur normale Mitarbeiterbefragungen, 360-Grad-Bewertungen, vielleicht noch ein paar Pulse-Checks und manchmal Onboarding- und Exit-Feedback um. Ob das ausreicht, bezweifeln die HR-Verantwortlichen sogar selbst. Zumindest sagen fast alle von ihnen, dass sie künftig den Beschäftigten viel häufiger zuhören müssen. Aber ihnen fehlen oft die passende Herangehensweise, der Business Case und die geeignete Technologie, um ihre Konzepte unternehmensspezifisch umzusetzen. Ein anderes großes Thema ist seit jeher, dass die Ergebnisse nur im berüchtigten Datensee landen, aber wenig mit ihnen passiert und keine Maßnahmen angestoßen werden. Dabei gibt es ganz neue Möglichkeiten, die Schätze im See zu heben. Außerdem kann man Veränderungen infolge der Erkenntnisgewinne auf verschiedene Weise technologisch unterstützen – mit Workflows, mit der Förderung von Ideenfindung, Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI), beispielsweise zum Vorschlagen von Best Practices usw. Letzter Punkt: Es geht ja darum, mit Experience Management das Menschliche zu fördern, also beispielsweise Empathie, Einbindung und Mitwirkung, Kommunikation zu verbessern (was auch das Aushalten von Kritik und Aufdecken von Missständen bedeutet). Dann müssen auch Menschen dahinterstehen, die das wollen – Führungskräfte auf allen Ebenen, zentrale Teams, Betriebsräte und Fachverantwortliche. In den meisten Unternehmen gibt es allerdings Beharrungskräfte aufgrund unterschiedlicher Motive. Diese müssen berücksichtigt werden. Sonst wird man kaum vorankommen.

Dies ist ein Artikel aus unserer Print-Ausgabe 9/2023. Bestellen Sie ein kostenfreies Probe-Abo.

ITD: Wie lässt sich die Mitarbeiterzufriedenheit schlussendlich messen?
Abel:
Ganzheitlich: Die klassischen Befragungen haben sicherlich weiterhin ihre Berechtigung. Dazu kommen diverse andere Möglichkeiten: Neben den bereits genannten kann man auch andere Quellen effizient auswerten, beispielsweise intern öffentliche Chatverläufe und extern geäußertes Feedback – also nicht nur neues Feedback aus Befragungen, sondern Rückmeldungen, die bereits vorliegen. Hinzu kommen Themen wie interne Service-Experience, Technologie-Experience bei zunehmender Digitalisierung, verschiedenste Messungen an entsprechenden Touchpoints usw. Darüber hinaus geht es darum, diese Projekte nicht nur im Silo zu messen, sondern übergreifend auszuwerten. Auch die Inhalte müssen stimmen. Gibt es validierte Konstrukte, um zu messen, was man messen will? Wenn ja, kann man diese mit eigenen Ideen kombinieren oder muss man sich in Schablonen pressen lassen? Ich sage immer: Wer mehr bewegen will, muss besser zuhören. Das schließt übrigens das Verstehen ein. Mit Messen allein ist es noch nicht getan. Ohne Aha-Effekt setzt man keine Impulse.

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