„Begegnungsorte schaffen“

ITD: Herr Jost, Unternehmen müssen auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter eingehen, um in Zeiten des Fachkräftemangels ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu erhöhen und sich damit Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Welche Bedürfnisse sind das genau?

Jost: Neben dem Purpose, also dem tieferen Sinn, den eine Aufgabe mitbringt, und einer offenen, wertschätzenden Kommunikation innerhalb einer Firma ist das vor allem der Wunsch nach größtmöglicher Flexibilität. Arbeitnehmer legen heute stärker denn je ihren Fokus auf die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf. Bezogen auf die Räumlichkeiten bedeutet das für Unternehmen, dass sie ihren Angestellten alle Möglichkeit bieten sollten, zeitlich flexibel und ortsungebunden sowie nah am Zuhause arbeiten zu können.

ITD: Wie gestaltet sich aus Ihrer Sicht ein attraktives Arbeitsplatzkonzept in einem Großunternehmen?

Jost: Zunächst geht es darum, zu verstehen, welche Arbeitsformen die Teams präferieren. Benötigen sie eher Fokuszeiten oder arbeiten sie viel gemeinsam? Gibt es eher wenig oder eher viel Kundenkontakt? Und halten die Angestellten häufig Meetings ab oder nicht? All diese Formen des Arbeitens und Zusammenarbeitens bedürfen unterschiedlicher Räume. Aktuell liegt ein großer Fokus in der „digitalen Economy“ auf dem Thema „Kreativität“ – diese hat ihren Ursprung meist im Arbeiten miteinander. Aus diesem Grund ist es elementar für Arbeitgeber, Begegnungsorte zu schaffen, in denen kreativer Austausch stattfinden kann. Zudem möchte nicht jeder Mitarbeiter dauerhaft im Homeoffice arbeiten. Ähnlich ist es aber auch mit der Büropflicht, die heute nur noch für wenige Menschen vorstellbar ist. Gleichzeitig schätzen viele Arbeitnehmer aber auch den direkten Austausch untereinander. Hier bieten Co-Working-Spaces und Offsite Locations eine sehr gute Lösung.

ITD: Welche Herausforderungen müssen Unternehmen bei der Kombination aus Büro, Homeoffice und Offsite Locations bewältigen?

Jost: Eine große Hürde ist zunächst, überhaupt geeignete Locations zu finden. Das ist im Dschungel der Gewerbeimmobilien und Co-Working Offices nicht immer einfach. Doch durch Plattformen und Services wie unseren nehmen spezialisierte Anbieter den Firmen die aufwendige Suche ab und begleiten den gesamten Prozess bis hin zur Buchung und Abrechnung. Dann ist da die Frage nach der Organisation: Wie trifft man sich regelmäßig, auch wenn nicht alle am selben Ort sind? Wie bzw. mit welchen Tools funktioniert der Austausch? Und wie schaffen wir es, dass alle Mitarbeiter mit entsprechender Hardware ausgestattet sind? Nicht zu vernachlässigen ist zudem die Frage nach der Wirtschaftlichkeit: Wie bekommt es ein Unternehmen hin, Büroflächen sinnvoll im wirtschaftlichen Sinne zur Verfügung zu stellen? Gegenüber stehen statische, langfristige Büroimmobilienverträge und die bedarfsgerechte Anmietung von Offsite Locations – also Kostendruck versus vertragliche Flexibilität. Hier muss jede Firma ihre individuelle Lösung finden. Zu guter Letzt sollten Führungskräfte ein Stück weit loslassen und ihren Mitarbeitern vertrauen können. Denn sonst bringt auch das beste Raumkonzept nichts.

ITD: Welche technischen Grundlagen sind hier Voraussetzung? Welche Rolle spielen z.B. Collaboration-Tools bei solchen Workspace-Kombinationen?

Jost: Wie bereits erwähnt, spielen technische Grundlagen eine maßgebliche Rolle – ohne Digitalisierung gäbe es New Work nicht. Collaboration-Tools sind unerlässlich für die Zusammenarbeit über räumliche und ggf. zeitliche Trennungen hinweg. Wichtig: Tools und Räume müssen den Anforderungen einer Task oder eines Meetings entsprechen. Beispielsweise erfordert eine Brainstorming-Session andere Tools und idealerweise auch andere Räumlichkeiten als eine persönliche Deepwork-Zeit oder eine fokussierte Gruppenarbeit. Das bedeutet, dass die Tools für die Zusammenarbeit und der Standort flexibel und individuell anpassbar sein müssen und vorzugsweise auch so ineinander übergehen sollten, dass sie die gleiche Botschaft vermitteln oder die gleiche Arbeitsatmosphäre schaffen.

ITD: Worauf sollte bei der Auswahl entsprechender Tools geachtet werden?

Jost: Das Allerwichtigste: Ein Tool muss unbedingt die Gleichberechtigung zwischen Homeoffice, Office und Offsite Location herstellen. Niemand, der nicht vor Ort im Büro ist, darf sich ausgeschlossen fühlen. Außerdem sollte das jeweilige Tool einfach zu bedienen und leicht in den Tagesablauf und idealerweise in die bereits bestehende Arbeitsumgebung zu integrieren sein.

ITD: Inwieweit bereiten sich Unternehmen und ihre Mitarbeiter bereits auf die Ungewissheit vor, die der kommende Winter bereithält – Stichworte „hohe Energiepreise“ und „steigende Infektionsraten“?

Jost: Immer wieder hört man, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Homeoffice schicken, ihre Büros schließen oder ihre Büroflächen über den Winter reduzieren. Das sind alles Strategien, die sehr kurzfristig und aus der Perspektive des Unternehmens gedacht sind, aber häufig zu Lasten der Belegschaft gehen. Aus meiner Sicht wird die Arbeit langfristig, zumindest da, wo es möglich ist, aus dem klassischen Bürokonzept ausgelagert. Eine Kombination aus Homeoffice, Büro und Co-Working Space wird die Grundlage zukünftiger Arbeitsplatzkonzepte bilden. Unternehmen, die bereits mit flexiblen Workspaces arbeiten, sind schon jetzt gut vorbereitet, da sie je nach Bedarf die Kapazitäten hoch- bzw. herunterfahren können. Für einige Unternehmen hat dieser Mindset-Wandel also bereits begonnen; sie sind in der Lage, flexibel zu agieren und auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter einzugehen. Für andere Unternehmen ist dies eine Chance, langfristig umzudenken und sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, auch im Kampf um Talente. Diese neue Form des Arbeitens ermöglicht es z.B. auch, dass sich nur wenige Personen gleichzeitig in einem Raum aufhalten oder dass Energie gespart wird, da im Sinne der Sharing Economy Büroflächen geteilt werden und Unternehmen keine großen und vor allem leeren Büroflächen selbst unterhalten müssen.

ITD: Von wo aus wollen denn die Arbeitnehmer die nächsten Wochen und Monate bevorzugt arbeiten – vom Homeoffice aus, um möglichst Kontakte und damit Infektionsrisiken zu vermeiden, oder vom Büro aus, um daheim Heizkosten zu sparen?

Jost: Ich denke, die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, da dies auch immer eine persönliche Abwägungssache und von den individuellen Gegebenheiten, wie dem Berufszweig, Haushaltseinkommen oder der Familiensituation, abhängig ist. Bei einem Single-Haushalt ist es vielleicht eher naheliegend, dass die Person vom Büro aus arbeitet. Bei einer Familie, in der beide Elternteile berufstätig sind und in der beide ihre Arbeit von zu Hause aus durchführen können, ist vermutlich das Homeoffice die erste Wahl. Doch auch hier gilt der Anspruch der maximalen Flexibilität.

ITD: Wie können wiederum Unternehmen eine produktive Arbeitsumgebung sicherstellen, die infektionssicher und zugleich nachhaltig, sprich energiesparend, ist?

Jost: Eine produktive und nachhaltige – also bedarfsgerecht genutzte und flexibel einsetzbare – Arbeitsumgebung kann nur durch eine flexible Workspace-Strategie gewährleistet werden. „Produktiv“ meint in diesem Zusammenhang den Ort, an dem die an dem jeweiligen Tag bestehende Arbeitsform am besten funktioniert. Für die Fokuszeit z.B. mag es das Homeoffice sein, für ein Team-Meeting der kreative Raum im Co-Working Space. Was den Infektionsschutz betrifft: Alle Büroflächen und Offsite Locations erfüllen natürlich die vorgeschriebenen gesetzlichen Anforderungen oder werden entsprechend kurzfristig angepasst. Hier liegt die Verantwortung aber auch bei jedem einzelnen Mitarbeiter, die Regeln einzuhalten. Es geht ja beim Infektionsschutz vielmehr darum, dass Unternehmen die Möglichkeit haben, im Fall einer Überbelegung oder bei der Durchbrechung von Infektionsketten zusätzliche Räumlichkeiten bereitstellen zu können. Unternehmen müssen eine Balance zwischen verfügbaren Orten herstellen. Eine flexible Workspace-Strategie berücksichtigt das eigene Büro (Headquarter), Homeoffice und externe Spaces und bringt diese in Einklang. Jeder Ort hat Vor- und Nachteile, Stärken und Schwächen. Aber die Kombination daraus bildet eine produktive und moderne Arbeitsumgebung.

Bildquelle: Spacebase

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