Was ist Deep Tech?



Mit dem Begriff Deep Tech werden Unternehmen (in vielen Fällen Startups) bezeichnet, die Produkte und Services für Endverbraucher hinter sich gelassen haben und sich stattdessen auf Technologien fokussieren, deren Realisierung erhebliche technologische oder wissenschaftliche Fortschritte erfordern. Deep Tech hebt sich also ganz wesentlich von den Consumer-facing Apps ab, die die meisten Menschen heutzutage mit der Tech- und IT-Branche assoziieren.

Eine “Uber für X”-App, mit der man etwas per Smartphone kaufen kann, fällt entsprechend nicht in den Bereich Deep Tech – egal, wie innovativ oder profitabel sie ist. Eine neue Form der Materialwissenschaft, die schnellere oder billigere Chips für Smartphones hervorbringt, schon eher.

 

Der Begriff Deep Tech wurde im Jahr 2015 von Swati Chaturvedi, Gründerin und CEO der Online-Investmentplattform Propel(x), geprägt. In einem LinkedIn-Pulse-Beitrag legte die Managerin ihre Vision für den Begriff dar. Demnach biete er eine Möglichkeit, die Startups in den Bereichen Biowissenschaften, saubere Technologien et cetera von den Unicorn-Startups zu unterscheiden, denen Mitte der 2010er Jahre das Risikokapital nur so hinterhergeworfen wurde. Doch während der Glanz der einst heißen Web- und Mobil-Startups des letzten Jahrzehnts nachlasse, wachse das Interesse an Unternehmen, die Fortschritte im Bereich Deep Tech machen wollten.

“Unternehmen im Bereich Deep Technology schaffen neue Möglichkeiten für verschiedene Märkte und bringen Investoren dazu, über Startups nachzudenken, die sie in dieser Form bislang noch nicht gesehen haben. Das sind keine Internetunternehmen und sie basieren auch nicht auf Geschäftsmodellinnovationen. Die Grundlage für Deep-Technology-Unternehmen liefern wissenschaftliche Erkenntnisse oder Innovationen im Bereich Engineering. Das sind die transformativen Unternehmen, die das Gesicht unseres Planeten in den kommenden Jahrzehnten prägen werden”, schreibt Chaturvedi.

Inzwischen hat Deep Tech in Tech- und Venture-Finanzierungskreisen jedoch ein Eigenleben entwickelt – was auch daran liegt, dass es keine zentrale Instanz gibt, die darüber bestimmt, was als Deep Tech gilt und was nicht. Dass der Begriff eine gewisse Anziehungskraft besitzt und damit Finanzierungspotenzial birgt, nutzen einige als willkommene Gelegenheit, um die Grenzen zu verwischen. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Technologien, die in jedem Fall in den Bereich Deep Tech fallen. Dazu gehören:

  • Künstliche Intelligenz und Machine Learning,

  • Sprach- und Bildverarbeitung,

  • Biotechnologie, Robotik, Elektronik und Photonik, sowie

  • Quantencomputing oder

  • Applikationen in den Bereichen Materialwissenschaft und Energie.

 

 

 

All diese Technologiebereiche weisen Gemeinsamkeiten auf, die sie miteinander verbinden:

  • Lösungen, die physische Herausforderungen überwinden. Bei verbraucherorientierten Anwendungen besteht ein Großteil der Innovation darin, reibungslose Verbindungen zwischen Kunden und bereits bestehenden Unternehmen und Ressourcen herzustellen. Deep-Tech-Startups hingegen stehen vor Herausforderungen auf der Ebene der physischen Realität. Sie beschäftigen sich damit, neue Medikamente zu entwickeln, Supraleiter bei Raumtemperatur herzustellen, oder damit, die Quantenphysik zu nutzen, um neue Computing-Paradigmen zu etablieren.

  • Divergente Technologien in einer umfassenden Lösung kombinieren. Tesla und andere Hersteller von Elektroautos müssen bei der Produktion ihrer Fahrzeuge mehrere Disziplinen miteinander verbinden. Etwa Informatik und Chemietechnik, um möglichst kleine, kostengünstige Batterien herzustellen, die dennoch genug Power haben, um ein Auto antreiben zu können, das die Menschen auch fahren wollen. Ein anderes Beispiel wäre, mit Hilfe von künstlicher Intelligenz neue Heilmethoden für Krankheiten zu erforschen.

  • Big-Picture-Probleme lösen. Deep-Tech-Startups versuchen in der Regel, eher grundlegende Probleme der Menschheit zu lösen. Etwa im Bereich der Krebsforschung oder wenn es darum geht, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu explorieren und große Sprünge in Sachen Rechenleistung und Fertigungsprozessen zu machen.

Dabei ist anzumerken, dass viele dieser Bereiche zwar zu dem gehören, was wir als den “traditionellen” Bereich der Tech-Industrie bezeichnen würden – einige von ihnen jedoch darüber hinausgehen. Chaturvedi drückte es im Rahmen eines LinkedIn-Pulse-Beitrags aus dem Jahr 2021 folgendermaßen aus:

“Unsere Sorge ist, dass die meisten Menschen Deep Technology immer noch ausschließlich im Bereich der Informationstechnologie und Computerwissenschaften sehen. Nur am Rande werden Innovationen in den Biowissenschaften oder industriellen Technologien und anderen Bereichen in einem Atemzug genannt. Infolgedessen hat sich das Risikokapital ausschließlich auf die Informatik konzentriert (“KI für alles” ist heutzutage das Schlagwort). Aber andere sinnvolle, tiefgreifende Technologien, die das Potenzial haben, die Welt zu verändern, stoßen immer noch nicht auf großes Finanzierungsinteresse … Wir müssen uns für die technologischen Disziplinen einsetzen, die uns den Schritt in die Zukunft ermöglichen.”

 

Um die eben beschriebenen Ziele zu erreichen, haben Deep-Tech-Unternehmen andere Anforderungen und Geschäftsprozesse als kundenorientierte Unternehmen. Aus diesem Grund wurde die Kategorie überhaupt erst in der Risikokapitalbranche entwickelt: Potenzielle Investoren müssen verstehen, dass Deep-Tech-Unternehmen größere Vorabinvestitionen und eine längere Anlaufzeit benötigen, bis mit Rentabilität oder einem Exit-Ereignis wie einem Börsengang oder einer Übernahme zu rechnen ist. Das hat Folgen für die Unternehmenspraxis im Bereich Deep Tech:

  • Überlegtes und sorgfältiges Vorgehen. Über Jahre folgten Tech-Startups dem Facebook-Mantra “move fast and break things”. Mit anderen Worten: Nehmen Sie viele kleine und iterative Änderungen an Ihrem Produkt oder Ihrer Plattform vor, um neue Funktionen einzuführen und den Stand der Technik voranzutreiben, auch wenn das bedeutet, dass dabei gelegentlich etwas schiefgeht. Diese Einstellung hat sich so sehr in der Kultur der Tech-Unternehmen verankert, dass man leicht vergisst, dass sie in der Vergangenheit nicht die Norm war. Für langfristige Deep-Technology-Projekte ist es jedenfalls keine praktikable Strategie, weil die Innovationen in diesem Bereich angesichts höherer regulatorischer Hürden und strengerer Sicherheitsanforderungen nicht unausgegoren auf den Markt gebracht werden können.

  • Es geht um einen Prozess, nicht um ein Produkt. Software kann von jedem erstellt werden, der einen Computer besitzt und auch die meisten physischen Produkte können, sobald ein Prototyp entwickelt ist, die Vorteile bestehender Fabriken und Lieferketten nutzen. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass viele Deep-Tech-Produkte auch nach der Forschungs- und Entwicklungsphase erhebliche Investitionen – etwa für spezialisierte Fabriken oder völlig neue Lieferketten – erfordern, bevor sie gewinnbringend als verkaufsfähiges Produkt hergestellt werden können.

  • Einbindung in ein breiteres Ökosystem. Angel-Investoren oder VCs sind letztlich daran interessiert, von einer erfolgreichen Produkteinführung als Ergebnis ihrer umfangreichen Technologieinvestitionen zu profitieren. Wegen der langen Zeiträume und der hohen Risiken, die mit Deep Technology verbunden sind, können gewinnorientierte Unternehmen hier jedoch nicht die einzigen Akteure sein. Deswegen entstehen viele Deep-Tech-Innovationen im universitären Umfeld, staatlich finanzierten Labors oder den “Skunkworks”-Abteilungen großer Ingenieurbüros, wo Wissenschaftler viel mehr Freiraum besitzen, um zu forschen. Ein solches Ökosystem ist für den Deep-Tech-Erfolg von entscheidender Bedeutung, kann aber auch den Prozess der Monetarisierung der Forschung erschweren (Universitäten könnten beispielsweise auf ihr Recht an Patenten bestehen).

Eine der größten Herausforderungen für Deep-Tech-Startups: Weil die von ihnen verfolgten Innovationen dem aktuellen Stand der Technik so weit voraus sind, werden sie möglicherweise nie etwas produzieren, das zum Verkauf angeboten werden kann – oder Gewinn abwirft. Was Deep-Tech-Unternehmen allerdings auf keinen Fall tun sollten, ist, Versprechungen zu machen, die sie nicht halten können. Das ultimative Negativbeispiel für ein Deep-Tech-Unternehmen ist wahrscheinlich Theranos. Deren Innovationsversprechen – die Revolution der Bluttests – stellte sich als heiße Luft heraus, was nicht nur den Zusammenbruch des Unternehmens, sondern auch Gefängnisstrafen für die Gründer nach sich zog.

 

 

Um Ihnen einen Eindruck von der aktuellen Deep-Tech-Landschaft zu vermitteln, haben wir einige Startups in diesem Bereich für Sie zusammengetragen:

  • LabGenius (Machine Learning in der Medikamentenentwicklung)

  • Dexory (ehemals BotsAndUs; autonome, KI-gesteuerte Roboter, die Einblicke in den Lagerbetrieb geben)

  • Flexciton (rationalisierter Chipherstellungsprozess)

  • Gourmey (nachhaltiges, im Labor gezüchtetes Fleisch)

  • Kinara (ehemals Deep Vision; Echtzeit-Videoanalysen und -NLP mit einem speziell entwickelten Chip)

  • AgNext (Lebensmittelqualität mit Hilfe einer Kombination aus KI, ML, IoT und Analytics bewerten)

 

(fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.

 

 

 

 

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