Citizen Developer: Softwareentwicklung als Self Service

Prozesse verbessern, neue Lösungen entwickeln – auch solche Aufgaben übernehmen Mitarbeitende zunehmend in Eigenregie. Sie gestalten Abläufe aktiv und entwickeln ihre Aufgabenfelder kontinuierlich weiter. Robotic Process Automation (RPA), intelligentes Workflow Management oder Low-Code– und No-Code-Plattformen machen solche Self Services möglich, sodass Technologien und Fortschritt im Unternehmen nicht mehr wenigen Mitarbeitenden vorbehalten sind, sondern allen offenstehen.

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Dabei sorgen klar definierte Arbeitsabläufe und Verantwortlichkeiten dafür, dass Sicherheit und Konformitätsanforderungen jederzeit gewährleistet werden. Mehr Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit für alle zum Vorteil der gesamten Organisation – eine Entwicklung, die sich in deutschen Unternehmen immer stärker durchsetzt, wie eine Accenture-Studie ermittelte: Für 85 Prozent der Führungskräfte lassen sich Innovationen künftig allein über mehr unternehmensinterne Demokratisierung vorantreiben, weil Unternehmen nur so auf Dauer die Chance haben, den Wandel und die Zukunft ihrer Branche entscheidend mitzugestalten.

Viele Softwareanbieter haben diesen Trend bereits erkannt und fördern die Tech-Demokratisierung nicht nur für alle Mitarbeiter, sondern auch unter Einbeziehung ihrer Kunden. Zum Beispiel indem sie diesen unkomplizierten Zugang zu modernen Methoden und Technologien wie Low Code und No Code ermöglichen. Also Zugriff auf Software-Entwicklungsplattformen und -Tools, mit denen die Mitarbeitenden über grafische Benutzeroberflächen intuitiv und schnell eigene Applikationen entwickeln können. Bei No Code gelingt das ohne Programmierkenntnisse, bei Low Code ist moderates Entwickler-Knowhow gefragt.

Ihre Stärken bewiesen No-Code- und Low-Code-Lösungen zuletzt während der Pandemie: Viele Unternehmen haben diese Phase genutzt, um Prozesse zu digitalisieren – weil Mitarbeitende ins Home-Office wechselten oder neue Geschäftsmodelle gefragt waren. Hier galt es, schnell Remote-Arbeitsplätze, virtuelle Onboarding-Prozesse oder neue Liefer-Apps für Einzelhandel und Gastronomie zu etablieren. Quasi über Nacht ist der Bedarf an zusätzlichen digitalen Prozessen explodiert, allerdings konnten nicht alle IT-Abteilungen dieses Tempo mitgehen. Die Folge: Gerade in den letzten Monaten blähten sich in den agilen Teams die Backlogs immer weiter auf – lange Aufgabenlisten, die nun mühsam abgearbeitet werden müssen.

Um die IT zu entlasten, bietet sich der Einsatz von Low- oder No-Code-Tools an. Am besten im Tandem mit robotergestützter Prozessautomatisierung (RPA). Eine Technologie, die Original Postress-releases/2020-09-21-gartner-says-worldwide-robotic-process-automation-software-revenue-to-reach-nearly-2-billion-in-2021" target="_blank" rel="noreferrer noopener">laut Gartner “90 Prozent der großen Unternehmen weltweit bis 2022 in irgendeiner Form einsetzen werden”. Damit können Nutzerinnen und Nutzer ihre Arbeitsschritte selbst automatisieren und digitalisieren. Ein Beispiel: Dauerte es bisher oft mehrere Wochen, bis die IT neue Anforderungen der Fachbereiche abbilden konnte, gelingt dies mit Low-Code- und No-Code-Plattformen und RPA innerhalb weniger Stunden. Dieses Vorgehen ist eng an das sogenannte Citizen Development angelehnt.

Citizen Developer sind technisch versierte Mitarbeitende, die selbstständig Anwendungen für ihren Fachbereich entwickeln. Da sie meist keine IT- oder Programmierkenntnisse besitzen, sind sie auf einfache und intuitive Hilfsmittel angewiesen. In der Regel sind das Low-Code-Plattformen, mit denen sich neue Apps nach dem Baukastenprinzip erstellen lassen. Der Vorteil: Durch Citizen Development werden nicht nur die User, sondern das ganze Unternehmen flexibler.

Unternehmen, die mit Citizen Developern arbeiten möchten sollten sich folgende Fragen stellen:

  • Wie lassen sich Mitarbeitenden und Fachbereichen die Methoden und Tools von Low Code/No Code am besten vermitteln?
  • Wie werden weiterhin alle Compliance-Richtlinien – zum Beispiel hinsichtlich Data Governance und Sicherheit – eingehalten?
  • Wie arbeiten IT und Citizen Developer fließend zusammen?
  • Wie sorgen Unternehmen für die nötige Transparenz, um Schatten-IT und Datensilos zu vermeiden?
  • Worauf gilt es bei der Integration neuer Apps und Bots in die vorhandene Daten- und Systemlandschaft besonders zu achten?

Lesetipp: Was ist ein Citizen Developer?

Citizen Development ermöglicht es den Mitarbeitenden also jederzeit, eigene Apps oder Bots zu entwickeln, einzuführen und zu betreiben. Das bringt mehrere Vorteile mit sich: App-Entwicklung lässt sich skalieren, die IT wird nicht mehr zum Flaschenhals. Außerdem kennen Citizen Developer die Anforderungen ihrer Abteilung im Detail, wissen also um die aktuellen Bedürfnisse ihrer Kollegen. Befähigen Unternehmen die Nutzer eigene digitale Prozesse zu installieren, entlasten sie ihre IT-Abteilung. Kleinteilige Aufträge der Fachabteilungen sind für die hauptberuflichen Entwickler jetzt passé. Stattdessen können sie wichtige Kernprozesse weiterentwickeln und dazu beitragen, das Unternehmen innovativer und zukunftssicher aufzustellen. Nicht selten greifen die Profi-Entwickler sogar selbst auf Low-Code- oder No-Code-Tools zurück, um die Programmierung zu beschleunigen.

Um sowohl traditionellen Entwicklern als auch Citizen Developers das Leben leichter zu machen, lässt sich Pre-built Content nutzen. Das können beispielsweise vordefinierte Prozess-Templates oder Bots sein, die sich unmittelbar in bestehende Systeme integrieren lassen. Solche Lösungen basieren häufig auf Best Practices und haben sich als Branchenstandards bewährt. Wenn Unternehmen ihren Pre-built Content in Business-Netzwerke oder Marktplätze einbringen, können sie damit neue Geschäftsmodelle erschaffen und vermarkten.

Im Zuge eines verstärkten Einsatzes von Citizen Development sollten Unternehmen genau definieren, an welchen Stellen die IT im Boot bleibt:

  • Wie umfangreich müssen Fachabteilungen die IT über neue Apps oder Bots informieren?
  • An welcher Stelle gilt es, die IT einzubinden und wo wird sie überhaupt nicht mehr gebraucht?

Entscheider sind gut damit beraten, Demokratisierung und Self Services in geordneten Bahnen voranzutreiben, um Schatten-IT, App-Wildwuchs oder Datensilos zu vermeiden und gleichzeitig für IT-Sicherheit, Data Governance und Compliance zu sorgen. Außerdem müssen sie sicherstellen, dass sich neue Apps nicht negativ auf die Performance der Infrastruktur auswirken. In der Praxis haben sich sogenannte Citizen Developer Center of Excellence bewährt. In ihnen können sich Mitarbeitende weiterbilden und zertifizieren lassen, um für ihren Bereich regelkonforme Apps oder Prozesse erstellen zu können. Um die Aufgaben zwischen IT und Citizen Developern aufzuteilen, empfehlen die Analysten von Gartner folgendes Vorgehen:

  • Unternehmen sollten klar festlegen, welche Geschäftsprozesse die Fachabteilungen mit eigenen Apps oder Bots digitalisieren dürfen.
  • Geht es um firmenübergreifende Belange, sollte die IT-Abteilung stets involviert sein, die App-Entwicklung beaufsichtigen und an manchen Stellen auch mitgestalten können.
  • Sind kritische Kernprozesse des Unternehmens betroffen, entwickelt wie gehabt ausschließlich die IT alle erforderlichen, digitalen Apps.

Lesetipp: So bringen Sie IT und Fachabteilung unter einen Hut

Prinzipiell sind Self Services in der Softwareentwicklung keine Grenzen gesetzt. Mit selbst entwickelten Apps können etwa Finanzabteilungen ihre Rechnungsfreigaben besser steuern. Lässt sich eine Rechnung keiner Bestellung zuordnen, muss sie von verschiedenen Mitarbeitenden gesichtet, abgeglichen und freigegeben werden. Bisher verschickten die Teams solche Rechnungen meist umständlich per Mail. Dank neuer, selbst entworfener Digitallösung lassen sich die offenen Posten nun mit wenigen Klicks verarbeiten und freigeben.

Anderes Beispiel: Größere Unternehmen nutzen digitale Plattformen, um Büromaterialien und Services zu beschaffen. Für seltene, teure Anschaffungen – wie beispielsweise eine neue Küchenzeile für die Kantine – gibt es jedoch meist keinen festen Prozess. Um solche Projekte zu beantragen, arbeiten viele Firmen noch mit Excel-Blättern. Das verkompliziert die Abstimmung und provoziert viele Fehler, da die Mitarbeitenden die Datei hin und her senden und alle Informationen in unübersichtlichen Tabellen prüfen müssen. Mittels RPA kann die Fachabteilung den Ablauf digitalisieren und in einer App unternehmensweit bereitstellen, sodass sich Investitionen jederzeit schnell beantragen lassen. Das spart Zeit und sorgt für transparente Einblicke aller Beteiligten. (bw)

  1. Matthias Noch, Atos
    “Vor allem im öffentlichen Sektor half eine schnelle Einführung von RPA dabei, Aufgaben im Kontext der Corona-Krise besser zu bewältigen, ohne die IT fundamental zu verändern. Das ist vor allem bei jahrelang gewachsenen Legacy-Systemen ein wichtiger Faktor. Attended RPA ist ein guter Einstieg. Spätestens wenn dann das Thema Lizenzen zur Sprache kommt, folgt der Shift zu Unattended RPA.”
  2. Ricardo Ullbrich, Blue Prism
    “Speziell die Skalierung von bestehenden Automatisierungen stellt Unternehmen immer noch vor Herausforderungen. Um den Administrationsaufwand so gering möglich zu halten, bietet es sich an, wieder verwendbare Bausteine zu verwenden. So kann die Effizienz maximal gesteigert werden.”
  3. Roman Schäfer, Blue Reply
    “Aus einer Data-Management-Perspektive ist RPA ein interessantes Werkzeug, weil es einen Paradigmenwechsel ermöglicht: Gerade entstehen immer mehr Projekte, in denen mittels RPA verschlankte ETL-Prozesse realisiert werden. Data Management rückt so näher an die Fachabteilungen heran, wovon das gesamte Unternehmen profitieren kann. Generell entfaltet RPA besonders in Kombination mit anderen Technologien seine Vorteile.”
  4. Johannes Weis, Celonis
    “RPA ist kein Allheilmittel und dient aktuell in vielen Unternehmen eher als Überbrückung. Die Automatisierung nicht optimaler Prozesse ist nicht zielführend. Der Ansatz unseres Execution Management Systems ist die Optimierung der Prozesse und die anschließende Automatisierung in derselben Plattform.”
  5. Kerim Cekel, CGI
    “Die Entscheidung pro oder contra RPA darf nicht technologiegetrieben sein, sondern muss prozessgetrieben erfolgen. Die schrittweise Einführung lässt sich gut realisieren. Die Einfachheit von RPA führt zu einem schnellen Verständnis und dadurch zu einer Akzeptanz bei allen involvierten Parteien. Dadurch lässt sich für Unternehmen ein nachhaltiger Erfolg erzielen und die Vorteile von LEAN und Kundenzentrierung zügig wahrnehmen. Dadurch ist RPA relativ leicht zu erklären und kann so langfristig im Unternehmen Fuß fassen.”
  6. Jan Wunschick, Lufthansa Industry Solutions
    “Corona hat dazu geführt, dass viele analoge Prozesse überhaupt erst digitalisiert wurden. Dadurch wurden überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen, um Automatisierung zu realisieren. Ich beobachte immer wieder organisatorische Konstellationen, in denen ein Center of Excellence nicht funktionieren würde – zum Beispiel, wenn es zu spezifisch für einen Bereich wie RPA definiert wurde: Wenn Sie selbst ein Hammer sind, dann wird jedes Problem zum Nagel. Sinnvoller wäre es, ein COE für das gesamte Thema Automatisierung aufzubauen statt für das „Nischenthema“ RPA.”
  7. Stephan Leininger, Microsoft
    “Bei der Automatisierung von Prozessen dominieren vor allem Low- bzw. No-Code-Anwendungen. Außerdem ist Schnelligkeit oft wichtiger als Komplexität. Durch den einfachen Aufbau lassen sich die Fachbereiche von Anfang an eng in die Prozesse einbinden. RPA ist alles andere als ein Allheilmittel: Es gibt einige isolierte Bereiche, in denen der Einsatz sinnvoll ist und auf die sich Unternehmen fokussieren sollten.”
  8. Gerrit de Veer, Signavio
    “Ist Automatisierung zu oft ein Selbstzweck oder sorgt man dadurch wirklich für spürbare Verbesserungen? Diese Frage muss man bei der Einführung von RPA immer stellen. Am Ende zählt nur der Prozess. Der Kunde interessiert sich nur dafür, ob ein Problem gelöst wurde und nicht, wie viele Agents dabei beteiligt waren.”
  9. Julian Beckers, Weissenberg Group
    “Mit Blick auf den Reifegrad muss man konstatieren, dass es abseits der Dax-30-Unternehmen noch deutlichen Nachholbedarf gibt. Das liegt auch daran, dass „der Mittelstand“ mit all seinen Besonderheiten ein typisch deutsches Phänomen ist, das in den Sales Workshops der großen US-Anbieter nicht auftaucht. Hieraus erwächst der Auftrag, sich als Hersteller besser mit den Spezifika dieser Unternehmensklasse auseinanderzusetzen. Bots werden von vielen leider zu oft als Mittel gesehen, um kurzfristig ihre IT-Karriere zu pushen. Wer an langfristigen Verbesserungen interessiert ist, wählt andere Ansätze.”
  10. Annette Maier, UiPath
    “Mehr als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland stuft RPA bereits als Schlüsseltechnologie ein . Vor allem ihre Mitarbeiter erkennen inzwischen die Vorteile und Möglichkeiten, die diese Technologie mit sich bringt; sie sehen in ihr nicht länger eine Gefahr für ihren Arbeitsplatz. RPA beziehungsweise Automatisierung ist einer der Treiber der Digitalen Transformation und bringt diese erst richtig in Fahrt. Denn Software-Roboter helfen Unternehmen dabei sich schneller und intelligenter anzupassen, ihre Produktivität zu steigern und kreativer zu arbeiten. Zwar wird diese Technologie einige Berufsbilder langfristig verändern, allerdings stehen dem bereits jetzt viele spannende Zukunftsberufe gegenüber – vom RPA-Entwickler über alle möglichen CoE-Rollen bis hin zum Chief Automation Officer.”